Erzählverse: Der Hexameter (0)

Dieser Beitrag beschäftigt sich noch nicht mit dem „Vers an sich“, sondern möchte erst einmal erklären, was in den zukünfigen Beträgen angedacht ist.

Der Hexameter ist alt. Homer nutzte ihn im Griechischen schon vor über zweieinhalb Jahrtausenden beim Schreiben der „Ilias“ und der „Odyssee“, und auch die deutsche Nachbildung des antiken Verses ist schon seit über 250 Jahren in Gebrauch.

In diesen 250 Jahren ist viel über den Vers geschrieben worden; zu keinem anderen Vers hatten die Metriker und die Verfasser der Poetiken eine so klare Meinung wie zu diesem. Das ärgerliche daran ist: Keine zwei dieser Verfasser hatten die genau gleiche Vorstellung vom Vers!

Das liegt an dem Umstand, dass der Hexameter eigentlich ein antiker Vers ist und auf die eine oder andere Art ins Deutsche „herübergeholt“ werden musste; für die antiken Versmerkmale mussten deutsche Entsprechungen gefunden werden. Und darüber, welche Merkmale übertragbar sind, welche nicht, und auf welche Art die als übertragbar angesehenen dann genau übertragen werden sollten, herrschte große Uneinigkeit!

Dementsprechend gibt es für jede Stimme, die etwas behauptet, eine andere, die das Gegenteil behauptet. Ich habe mich angesichts dieses Wirrwarrs dazu entschlossen, einen Mittelweg zu gehen. Das heißt, ich werde versuchen, den Vers so vorzustellen, dass er sich verständlich darstellt und möglichst problemlos selbst geschrieben werden kann; und formal die Mitte hält zwischen den „theoretischen“ Extremen, damit jeder Verfasser später den „Grundvers“ nach seinen eigenen Vorstellungen anpassen kann in die eine oder andere Richtung; in den kommenden Hexameter-Beiträgen möchte ich die verschiedensten Möglichkeiten dazu vorstellen!

Ausrichten möchte ich mich dabei an den Verfassern, deren Hexameter ich am meisten schätze; die drei wichtigsten sind in dieser Hinsicht Eduard Mörike, Friedrich Hölderlin und Johann Wolfgang Goethe.

Warum aber ist überhaupt so viel über den Hexameter gestritten worden, und warum  mit so großer Erbitterung? Seine Einführung fiel zusammen mit einer riesigen Griechen- und Homerbegeisterung, es ging also eigentlich nicht nur um einen Vers, sondern die abendländische Kultur an sich! Und dementsprechend hoch schlugen dann die Wellen …

Der ursprünglichste und älteste Vers der Griechen, der Hexameter, ist zugleich der Inbegriff und der Grundton aller Harmonien der Menschen und der Schöpfung … Wenn man sich das Hin- und Wiederfluten aller lebendigen Bewegung der ganzen Schöpfung nach gesetzmäßiger Harmonie hinstrebend denkt, so ist es, als hätte sie endlich ihr üppiges Überschwanken in diese leicht beschränkenden Maße beschwichtigt, sich beruhigend in diese Weise eingewiegt, die dann ein glücklich organisiertes Volk ergriff und in seine Sprache heftete. So viel mehr scheint dieser Vers dem Rhythmus der Welt als dem Stammeln menschlicher Laute zuzugehören …

Große Worte aus „Latium und Hellas“ von Wilhelm von Humboldt, immerhin ein bedeutender Mann … Ob er Recht hatte, ob nicht – wer weiß es; aber es zeigt ganz schön, wo die Latte lag bei der Beschäftigung mit dem Hexameter!

 

 

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