Erzählformen: Das Reimpaar (17)

Reimpaare aus iambischen Vierhebern sind heute auch oft die Form, die Gelegenheitsgedichten gegeben wird. Dann klingen die Text schon mal leicht unordentlich und nachlässig – und sind das auch! Was aber, wenn solche Reimpaare so klingen bei Dichtern, die nachweislich mit Sprache umzugehen wissen?!

Das klassische Beispiel dürfte da Ludwig Tieck sein, dessen Gedichte ja schon von seinen Zeitgenossen als sehr nachlässig beurteilt wurden.

Am Anfang von Tiecks „Phantasus“ sitzt ein Ich, von allerlei Unbill geplagt, „betrübt“ im Zimmer.

 

So saß ich still in mich gebückt,
Den Kopf in meine Hand gedrückt,
Als ich, so sinnend, es vernahm,
Dass jemand an die Türe kam;
Es klopfte, und ich rief: „Herein!“
Da öffnet schnell ein Händelein,
So weiß wie Baumesblüt‘, herfür
Trat dann ein Knäblein in die Tür,
Das Haupt gekränzt mit jungen Rosen,
Die eben aus den Knospen losen,
Wie Rosenglut die Lippen hold,
Das krause Haar ein funkelnd Gold,
Die Augen dunkel, violbraun,
Der Leib gar lieblich anzuschaun.
Er trat vor mich und tät sich neigen
Und sprach alsdann nach kurzem Schweigen:
„Wie kömmt’s, mein lieber kranker Freund,
Dass Ihr hier sitzt, da Sonne scheint?“

 

„losen“ = „los, frei werden“, „herauskommen“. Ist das jetzt also nachlässig geschrieben?! Hm. Das macht sich ja am allerehesten daran fest, dass sich Füllsel-Verse einschleichen; der erste Vers des Reimpaars sagt inhaltlich etwas aus, aber kein Reimwort bietet sich an, die Sache im zweiten Vers weiterzuführen; also wird der Vers einfach gefüllt mit einem Zusatz, und erst das nächste Reimpaar nimmt die Handlung wieder auf.

Davon ist nichts zu bemerken bei Tieck?! Nur das „Händelein“, klingt, heutzutage erst Recht, gewöhnungsbedürftig; das wird dann einem „Knäblein“ zugeordnet, was, je nach Sichtweise, die Sache rechtfertigt – oder noch schlimmer macht!

Wenn man Tiecks Text liest, klingt so manches eigenartig. Man merkt aber auch, es hat seinen eigenen Ton, der nicht wackelt und nicht schwankt, und es erzählt geradeheraus und von daher: So kann man schreiben, wenn man mag. Oder man konnte es; heut sollten auch Reimpaartexte wohl etwas anders klingen …

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