Das Hinterzimmer des Verserzählers hat sich wieder einmal gefüllt: Die Gesundbrunnen von Valerius Wilhelm Neubeck sind jetzt dort zu finden, alle vier Gesänge; und auch eine Rezension und eine Einschätzung von Neubecks Hexameter!
Vieles wird daher schon auf den entsprechenden Seiten geklärt; da bleibt hier der Raum, auf Neubecks Hexameter einzugehen. Oder anders gesagt und gefragt: Wie sieht Neubecks „hexametrischer Fingerabdruck“ aus?! Drei Verse aus der Mitte des ersten Gesangs geben da Auskunft!
Siebenfältige Nacht umlagert des tobenden Hades
Eisernes Flügeltor. Erdbeben erschüttern die Länder,
Wann ein Donnersturm die Riegel zersprengt, und es aufkracht.
Ein wichtiges Erkennungsmerkmal ist der Umgang mit Wörtern wie „Flügeltor“ oder „Donnersturm“: Baut sie der Verfasser als „X x X“ in seinen Vers ein oder als „X x x“?
Sieben- / fältige / Nacht || um- / lagert des / tobenden / Hades
Eisernes / Flügel- / tor. || Erd- / beben er- / schüttern die / Länder,
Wann ein / Donner- / sturm || die / Riegel zer- / sprengt, und es / aufkracht.
Eindeutig „X x X“! Eine zweite immer deutlich hörbare Entscheidung: Verwendet der Verfasser „geschleifte Spondeen“?! Neubeck tut es – “ tor. || Erd- / be-“ ist einer, aber kein beliebig gesetzter, sondern einer, der in Bezug auf den Inhalt auch Wirkung tut! Womit die dritte Frage schon beantwortet wäre: Lässt der Verfasser ein Zusammenspiel zwischen Form und Inhalt zu oder nicht? Als vierte Frage stellt sich die nach den zweisilbigen Versfüßen. Lässt der Verfasser Trochäen zu anstelle der (antiken) Spondeen, und wen ja: welche?! Neubeck nutzt sie, wählt aber immer eine wirklich schwere betonte Silbe; „Wann ein“ ist der leichteste Trochäus hier! Die zweisilbigen Senkungen sind, wie bei achtsamen Hexametristen üblich, durchweg mit sehr leichten Silben gefüllt.
Alles in allem also: Ein Voss-Nachfolger, der seinen Vers an der antikisierenden Versvorstellung von Voss ausrichtet, ihn aber nicht blind nachahmt. Daher hier die drei Verse noch einmal in der „Lang-Kurz-Schrift“:
— v / — v v / — || v / — v v / — v v / — v
— v v / — v / — || — / — v v / — v v / — v
— v / — v / — || v / — v v / — v v / — —
Die klare Vorstellung des Verfassers bezüglich der Wirkung der Versbewegung ist auch gut aus dem „Ionikus a minore“ am Ende des dritten Verses zu erkennen – eine Sinneinheit wie „und es aufkracht“, „v v — —“ stellt sich eher nicht zufällig ein; darauf schreibt man hin.
Lasst euch meinen Gesang der Geheimnisse größtes enthüllen
– Ein anderer Vers aus „Die Gesundbrunnen“. Das in diesem Eintrag enthüllte „Geheimnis“ ist sicher ein eher kleines; aber ein erster Eindruck von Neubecks Vers ist so doch zustandegekommen?!