Erzählverse: Der Hexameter (111)

Immer wieder spannend zu verstehen: Wie macht man als Dichter aus nichts etwas? In den alten Zeiten war das einfach – alle kannten die Grundlagen der griechischen Mythologie, und darauf aufsetzend lassen sich leicht kleine Geschichten erzählen. Reiht man dann auch noch Beispiele, steht bald ein ansehnlicher Text da … Als Beispiel diene Christian Adolph Overbecks „Der gefangene Amor“:

 

Habt ihr den Amor gehascht, und höhnt mutswillig, ihr Jungfraun?
Traut dem Gefangenen nicht, o ihr Lieblichen! Wisset, er lässt sich
Kürzen die Schwingen von euch: umsonst! Sie wachsen ihm wieder.
Kirr mit rosigen Seilen umschlingt er sich: aber o trauet,
Traut dem Gebundenen nicht; er ist glatt, er entschlüpft aus den Seilen.
Wieder lässt er sich greifen, der Schalk, und weinet so kläglich:
Traut dem Weinenden nicht! er will euch Tränen entlocken,
Und dann lacht er verschmitzt. Er fleht mit gebogenem Kniee:
Traut dem Knieenden nicht! er ist ein Tyrann, er will herrschen.
Mädchen, ich riet es euch nicht, die verwegene Jagd zu beginnen!
Aber habt ihr gefangen nunmehr den tückischen Vogel;
Eilt, und hinauf mit ihm vor Gericht! Bei Pallas verklagt ihn!
Seht, dort steht er beschämt, ein Verstummender, fürchtend die Rute.

 

Das ist kein großartiges Gedicht, keine Frage, und die Welt wäre nicht ärmer, wäre es nicht geschrieben worden; trotzdem hat es seinen Reiz, der gerade in seiner Flüchtigkeit besteht … Wozu der Hexameter als gewählte Versform sicherlich beiträgt, da sich die Sprache zwanglos in ihn einfügt?!

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