Harald Patzer: Die Formgesetze des homerischen Epos
In diesem 1996 bei Steiner erschienenen Band findet auch der des Altgriechischen unkundige manches Nachdenkenswerte. Zum einen, wie vom Titel angesprochen, über den Aufbau der homerischen Epen – und eine Beschäftigung mit der Ilias und der Odyssee ist für einen Verserzähler nie vertane Zeit. Auch Patzers Ausführungen zum griechischen Hexameter sind für das Verständnis des deutschen Hexameters durchaus nützlich; und schließlich gibt es auch noch allgemeine Aussagen zum Wesen der Dichtung, denen man nicht zustimmen muss, die zu bedenken aber in jedem Fall lohnt. So zum Beispiel auf Seite 24, wo es ganz grundlegend um das Wesen und das Entstehen metrisch gebundener Dichtung geht:
„Es war danach kein weiter Weg mehr, längeren ausführlichen Verlautbarungen, mit denen sich einzelne an die Gesamtheit ihrer Sprachgenossen wandten, eine rhythmische Sprachgestalt zu geben, um sie für diese bedeutungsvoll und einprägungswürdig (das heißt als ‚Dichtungen‘) erscheinen zu lassen. Dazu musste die Rhythmik, die sich zunächst zerstreut in Formeln der Alltagssprache angelegt hatte, konsequent auf den gesamten Aussagebereich der Dichtung ausgedehnt werden. Das aber bedeutete eine Stilisierung der gewöhnlichen Sprache, also deren Vereinseitigung, aber auch Verwesentlichung auf den in ihr schlummernden Rhythmus hin. Damit wuchs der Dichtungssprache eine Ausdrucksfähigkeit zu, die über die der Alltagssprache hinausging. Sie ließ sinnlich wahrnehmbar einen sympathetischen Einklang mit dem die gesamte Natur durchwaltenden Rhythmus erscheinen, in dem Dauer im Wechsel erlebt wurde. Sie erhob damit den Hörer in eine Sphäre, in der die von der Dichtung dargestellte menschliche Wirklichkeit auf ihr Wesen hin durchscheinend wurde. Der Rhythmus machte die dichterische Rede zur Wahrrede.“
So mag es gewesen sein, vor etwa 3000 Jahren … Ob uns das heute noch zu kümmern hat, ist eine gute Frage.