Die Bewegungsschule (41)

Irgendwo im Hinterkopf gibt es Bereiche, in denen sich Gedanken lange heimlich herumtreiben, ehe sie irgendwann doch einmal an die Stirn klopfen. Bei mir tat das eben einer, der, wie es scheint, noch mit dem vorletzten Eintrag der Bewegungsschule zusammenhängt:

Wenn sich Sinneinheiten / Wortfüße der Form „ta TAM ta“ – Amphibrachen – leicht und unaufgefordert im Vers einfinden und wenn das auch mit der großen Menge der „TAM ta“-Wörter im Deutschen zu tun hat; heißt das dann nicht, dass eine kleine Anzahl von „TAM ta“-Wörtern ein Zeichen für eine bewusste Hexameter-Gestaltung ist, weil durch die Vermeidung von zu vielen Amphibrachen ein Grundmerkmal des Hexameters, die Abwechslung (hier: die der Wortfüße) überhaupt erst möglich wird?!

Eine Annahme, bei der es gleich an mehreren Stellen im Gebälk knirscht, aber man kann ja mal schauen … Goethes Versepen weisen, so heißt es allgemein, eine unterschiedliche Strenge in der Versbehandlung auf; „Reineke Fuchs“ pflegt einen sehr nachlässigen, weiträumigen Hexameter, „Hermann und Dorothea“ weist bewusster gebaute Hexameter auf, und die Achilleis ist, dem Gegenstand entsprechend, sehr klassisch-streng mit ihren Hexametern.

Ich habe schnell die jeweils ersten dreißig  Verse dieser (und aller folgenden) Werke angeschaut und die „TAM ta“-Wörter ausgezählt, unter Ausschluss von „TAM TAM“-Wörtern wie „Blitzstrahl“.

Goethe, Reineke Fuchs: 93 / 3,10
Goethe, Hermann und Dorothea: 85 / 2,83
Goethe, Achilleis: 61 / 2,03

Mit Verfasser, Werk: Zahl „TAM ta“ insgesamt / Zahl „TAM ta“ je Vers. Na, das entspricht doch schon ganz gut der Vermutung?! Einen Schritt weiter gedacht müssten dann die Verfasser, die ihre Hexameter sehr bewusst „gebaut“ haben, vergleichsweise wenig „TAM ta“-Wörter haben. Die üblichen Verdächtigen sind da Platen und Voss; und siehe da:

Goethe, Reineke Fuchs: 93 / 3,10
Goethe, Hermann und Dorothea: 85 / 2,83
Goethe, Achilleis: 61 / 2,03
Voss, Orientalische Idylle: 58 / 1,93
Voss, Luise: 54 / 1,80
Platen, Amalfi: 52 / 1,73
Platen, Die Fischer auf Capri: 45 / 1,50

Passt auch … Also frisch weiter vermutet: Hölderlins Hexameter sind sehr ausgeglichen, da ist ein Mittelwert zu erwarten; ebenso Mörikes. Goethes andere Hexameterwerke – Episteln, Lehrgedichte – sollten gleichfalls in der Mitte liegen.

Goethe, Reineke Fuchs: 93 / 3,10
Goethe, Hermann und Dorothea: 85 / 2,83
Goethe, Erste Epistel: 78 / 2,60
Goethe, Metamorphose der Tiere: 76 / 2,53
Mörike, Idylle vom Bodensee: 76 /2,53
Hölderlin, Archipelagus: 73 / 2,43
Hölderlin, An den Äther: 70 / 2,33
Goethe, Achilleis: 61 / 2,03
Mörike, Sichrer Mann: 58 / 1,93
Voss, Orientalische Idylle: 58 / 1,93
Voss, Luise: 54 / 1,80
Platen, Amalfi: 52 / 1,73
Platen, Die Fischer auf Capri: 45 / 1,50

Huch! Stimmt auch, nur bei Mörike lag die Vermutung daneben; jedenfalls beim „Märchen vom sichren Mann“! Was nichts heißen muss, da alle diese Werte auf wenig zuverlässige Art zustande gekommen sind – alleine die viel zu kleine Anzahl von 30 betrachteten Versen sollte bedenklich stimmen, mitternächtliche Schnellzählfehler gar nicht erwähnt … Trotzdem: Da ist mal wieder ein genauerer Blick auf den „Sichren Mann“ fällig; was angesichts der Güte seiner Hexameter aber ohnehin immer lohnt!

(Bleibt eine letzte Vermutung: die nach der „TAM ta“-Dichte der eigenen Hexameter. Näher bei Voss, wahrscheinlich?! Nun bin ich nicht so übermütig, mich in dieselbe Tabelle einzusortieren wie Goethe und Hölderlin; aber hier, in der Schluss-Klammer, sei es mir nachgesehen … Wasser entstürzt den Wolken: 55 / 1,83. Passt!)

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