Es gibt unendlich viele völlig zurecht vergessene Gedichte, jedenfalls, wenn es ums ganze Werk geht; an einzelnen Stellen kann auch das schlechteste Gedicht etwas zu bieten haben, das aufhorchen lässt. Ein Beispiel ist „Der homerische Esel“ von Heinrich Joseph von Collin:
Wie laut Homeros oft den Esel rühmt,
Den nun die Welt nur mit Verachtung nennt.
Ich wag’s und preis‘ ihn auch, ein edles Tier!
Nur in der Knechtschaft wird er dumm und träge,
Was selbst der hohen Menschheit widerfährt;
Doch frei hüpft er, wie mutig, Wälder durch –
Er hat Gemüt, ist melancholisch worden.
Ja. Nichts besonderes, aber im vorletzten Vers hat Collin, zum Inhalt passend, eine versetzte Betonung im Versinnern:
Doch frei / hüpft er, / wie mu– / tig, Wäl– / der durch
Versetzte Betonungen im Versinnern gibt es beim Blankvers selten, und wenn, dann nach einem Sinneinschnitt, so dass die entstehende Sprechpause das Aufeinandertreffen der beiden betonten Silben abmildert. Hier stehen sie „einfach so“ nebeneinander, was aber gut zum „frei“ und zum „Hüpfen“ passt!