Erzählverse: Der trochäische Vierheber (2)

Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Vierheber von den „Anakreontikern“ benutzt als Nachbildung eines in der Antike von Anakreon verwendeten Verses, erst zur Übersetzung der Gedichte des Anakreon, danach in Gedichten ähnliches Inhalts – es ging also um leichte, tändelnde, scherzende Gedichte, die vor allem um die Liebe kreisten, den Wein, die Freundschaft.

Der Vierheber bildet die Sprache durchaus. Wenn der Verfasser sich vertraut und dem Vers auch, dann kann er diesem „Druck“ bewusst nachgeben, und die meisten der im folgenden behandelten epischen Dichter haben das auch getan; das Ergebnis sind dann deutlich von der gewöhnlichen Sprache abweichende Verse.

Man kann aber auch ohne große Schwierigkeiten in unmittelbarer Nähe der Prosa bleiben. Diesen Weg sind die Anakreontiker gegangen, zum Beispiel der von mir sehr geschätzte Johann Nikolaus Götz:

Die herrschenden Gedanken

Wie die gelben Schmetterlinge,
Doris, um die Rosen fliegen,
Also fliegen die Gedanken,
Die aus meiner Seele kommen,
Hin und her um deine Schönheit.
Taumeln dann, von deiner Anmut
Und von deinen Blicken trunken,
Wie die jungen Bienenschwärme
Auf den süßen Kleegefilden
Von Gerüchen trunken taumeln.
Dann ermuntern sie sich alle,
Sich auf Zweige hinzusetzen,
Und einander deine Reize
Und Geschichten zu erzählen.
Wenn sie nun beim Abendstrahle
In ihr Nest zurücke kehren,
Und es hat ein kühner Fremdling
Ihre Wohnung eingenommen:
Beißen sie ihn fort, und üben
An ihm und an seinen Kindern
Nicht einmal das süße Gastrecht.

Eigentlich ist das nur heiße Luft, ein Versuch, „Etwas“ aus „Nichts“ zu machen. Eine Anrede, die aber keinem wirklichen Menschen gilt, ein Vergleich, dann noch einer, andersherum angeordnet; dann eher etwas in Richtung „Vögel“ (sich auf Zweige setzen, Nest), ohne dass es ausgesprochen würde, und dann der etwas kräftigere Schluss mit seinem „Fortbeißen“; die Rechtfertigung und Erklärung des Titels.

Trotzdem liest sich der Text sehr angenehm, er „fließt“, die Verse sind unterscheidbar, ohne dass sich die Sätze  verlieren; alles ist aufeinander abgestimmt und bezogen. Ein typisches Gedicht der Anakreontik eben!

Für die Betrachtung des Verses wichtig: die Mehrzahl der Verse fängt mit einem Einsilber an, nur wenige mit einem Zweisilber der Form „X x“. Das ist durchaus die Regel im Vierheber! Das einleitende einsilbige Wort ist dabei meist nur darum „hebungstauglich“, weil die nachfolgende, die zweite Silbe, noch schwächer ist als die erste und dadurch die Rangordnung „betonte Silbe, unbetonte Silbe“ gewahrt bleibt:

Von Ge- /chen / trunken / taumeln.

Götz handhabt das sicher, nur einmal schwimmt ein Vers etwas, der vorletzte:

An ihm / und an / seinen / Kindern

Da ist „an“ sicher nicht „an sich“ stärker als „ihm“, inhaltlich betrachtet eigentlich eher schwächer; und die Reihung von  vier eigentlich unbetonten Einsilbern lässt den Vers keine Sicherheit gewinnen. Aber diese gewisse Lässigkeit ist durchaus eine der Eigenschaften, die Götz‘ Verse so anziehend machen!

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert