Erzählverse: Der trochäische Vierheber (3)

Ich schreibe noch einen zweiten Beitrag zu den Gedichten der Anakreontik, weil ich glaube, diese Art von Texten ist eine (! von vielen) Möglichkeiten, sich in den Vierheber einzuschreiben. Wenn man ihn als Erzählvers gebraucht, schreibt man schnell hunderte von Versen; für so ein kleines „anakreontisches Nichts“ reicht ein Dutzend, und das Gefühl für den Vers stellt sich genausogut ein, jedenfalls das für den „prosanahen Vierheber“.

Ich vergleiche dabei ganz frech ein Gedicht von Ludwig Gleim mit einem kleinen eigenen Text. Zuerst der Gleim:

 

Die Wahl

Könnt ich malen wie Apelles,
Lauter Mädchens wollt ich malen;
Könnt ich nur wie Orpheus spielen,
Lauter Mädchens sollten tanzen;
Könnt ich Tote lebend machen,
Lauter Mädchens sollten leben;
Aber könnt ich, wie ich wollte,
Viele wieder sterben lassen,
Viele sollten wieder sterben,
Viele wollt ich überstreichen,
Dass sie ungemalet blieben,
Und vom ersten Tanz ermüdet
Sollten viele nicht mehr tanzen.

 

„Apelles“ war ein berühmter Maler der Antike; „Mädchens“ sagt man heute nicht mehr, bleibt aber der Lautwirkung wegen selbstredend stehen. Was bietet Gleim nun dem Leser? In der für die Anakreontik kennzeichnenden Mischung aus Wiederholung und Abwandlung stellt er dem Leser drei Möglichkeiten vor Augen, die er dann, etwas ungewöhnlich, in der zweiten Gedichthälfte einfach wieder zurücknimmt (obwohl es eigentlich ja eine Ausweitung ist: „Aber könnt ich, wie ich wollte“).

Meine Verslein setze ich nun einfach darunter, um zu zeigen, wie ein solches Gedicht vielleicht „ins Heute“ geholt werden kann; selbstredend nur in meiner Sprache und nach meinem Geschmack!

 

Der von letzter Sommerwärme
In den Park gelockte Dichter
Sitzt auf einer Bank, und allen,
Die an ihm vorüberschlendern,
Schreibt er lächelnd kleine Verse –
Salbungsvolle Schmeicheleien
Allen Herren, allen Damen
Unbeschwerte Nettigkeiten,
Reime ohne Sinn den Kindern;
Sagt der Hunde Namen so, dass
Dieses eine Wort Gedicht ist …

 

Eigentlich macht dieser Text nichts anders als der über zweihundert Jahre ältere: er stellt dem Leser ein Bild vor Augen, dann fächert er das Bild in einem Dreischritt auf; schließlich geht er noch einen weiteren Schritt, hinaus über die eigentlich geschlossene Dreiheit „Mann – Frau – Kind“, und findet dabei irgendwie die kleine Besonderheit, die geeignet ist, das Gedicht zu schließen.

Das ist nun keinesfalls ein besonders eindrucksvolles Gedicht; aber es ist, finde ich, ein Text, den man auch im 21. Jahrhundert ohne größeres Befremden lesen kann und damit vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Art, in der die Anakreontiker den Vierheber verwendet haben, auch den heutigen Verfassern in angepasster Form zur Verfügung steht!

In Bezug auf die Form widersprechen beide Texte dem, was ich im letzten Beitrag geschrieben habe: Meine Verse haben nur in knapper Mehrheit einen Einsilber im Verseingang – sechs zu fünf; bei Gleim sind die Zweisilber selbst dann mit acht zu fünf in der Überzahl, wenn man die verkürzten Zweisilber „könnt“ großzügig zu den Einsilbern zählt.  Gut tut das seinem Gedicht nicht immer, denn Zweisilber im Verseingang vergrößern die Gefahr solcher Verse:

Viele / wieder / sterben / lassen,
Viele / sollten / wieder / sterben,

Dabei fallen die „metrischen Grundeinheiten“, die Trochäen „X x“, mit den im Deutschen sehr häufigen „Worteinheiten“ der Art „X x“ zusammen, wodurch der Vers seine innere Spannung verliert und zu „klappern“ beginnt, wie Heine und andere das so schön genannt haben: die ständige Wiederholung ein und derselben Bewegung erinnert an ein Marschieren, eine Art leblosen Stechschritt.

Das ist eine Sache, auf die man im Vierheber ein wachsames Auge haben muss! Ein Vers dieser Art ist sicher unbedenklich, und es gibt auch Fälle, wo man derlei zur Unterstützung des Inhalts einsetzen kann; aber im allgemeinen sind zwei Verse dieser Art nacheinander, wie hier bei Gleim, die äußerste Grenze.

Besser bewegt sich zum Beispiel dieser Vers:

Und / vom / ersten / Tanz  / er- / müdet

Da „schneiden“ sich die Trochäen (rot) und die Wort-, bzw. Sinneinheiten (grün), wodurch der Vers lebendig wirkt. Wobei gerade dieser sich inhaltlich nicht gegen eine gewisse Einförmigkeit sträuben würde …

So, damit lasse ich den anakreontischen Vierheber erst einmal ruhen; im nächsten Beitrag geht es dann um einen längeren Erzähltext in Vierhebern!

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