Die Korrelation (1)

„Korrelation“ meint im Gedicht die Beziehung von räumlich getrennten Wörtern und Wortgruppen. Im einfachsten Fall gibt es zwei Grundbausteine, zum Beispiel zwei Substantive, die um weitere Bausteine ergänzt werden – Prädikate, Adjektive, Appositionen, alles, was denkbar ist; doch diese Ergänzungen stehen nicht in direkter Nachbarschaft der Substantive, sondern werden auf die folgenden Verse verteilt.

Ein Beispiel gibt das erste Quartett eines Sonetts, das Georg Rodof Weckherlin auf Martin Opitz geschrieben hat, den berühmten Schulmeister der deutschen Barockdichtung:

Indem mein Ohr, Hand, Mund schier müd, die schweren Plagen,
Die dieser große Krieg mit Hunger, Schwert, Pest, Brand
Und unerhörter Wut auf unser Vaterland
Ausgießet, ohn Ablass zu hören, schreiben, klagen,

– Der Dreischritt „zu hören, schreiben, klagen“ des vierten Verses bezieht sich auf das „Ohr, Hand, Mund“ des ersten Verses!

Solche Korrelationen kennt die europäische Dichtung seit vorchristlicher Zeit. Maßvoll eingesetzt, sind sie sehr wirkungsvoll und können einem Text viel Gutes tun! Allerdings ist die Gefahr groß, die Dinge zu übertreiben. Vom in Weckherlins Sonett gepriesenen Martin Opitz stammt dieses Alexandriner-Couplet:

Die Sonn’, der Pfeil, der Wind, verbrennt, verwundt, weht hin,
Mit Feuer, Schärfe, Sturm, mein’ Augen, Herze, Sinn.

Zweifellos keine große Dichtung, aber doch ein gutes Beispiel, wie solche Korrelationen aussehen können, wenn sie als Kunststück aufgefasst und auf die Spitze getrieben werden! Schreibt man die vier Halbverse untereinander …

Die Sonn’, der Pfeil, der Wind,
verbrennt, verwundt, weht hin,
Mit Feuer, Schärfe, Sturm,
mein’ Augen, Herze, Sinn.

… kann man die zerlegten Sätze wieder zusammensetzen, indem man sie wie Spalten von oben nach unten liest: „Die Sonn‘ verbrennt mit Feuer mein‘ Augen“, „Der Pfeil verwundt mit Schärfe mein Herze“, „Der Wind weht hin mit Sturm mein‘ Sinn“. Wie gesagt: Keine große Dichtung, aber eine sehr ansprechende Gestaltungsmöglichkeit! Ich möchte daher in einigen Beiträgen verschiedene Beispiele vorstellen von Korrelationsgedichten, sowohl solche, in denen maßvoll korreliert wird, als auch solche, in denen haltlos übertrieben wird. An den Schluss diesen Beitrags möchte ich einen Gedichtanfang Johann Wolfgang Goethes stellen:

Will ich die Blumen des frühen, die Früchte des späteren Jahres,
Will ich was reizt und entzückt, will ich, was sättigt und nährt,

In diesem Distichon werden die „Blumen“ und die „Früchte“ des Hexameters im Pentameter durch „reizt und entzückt“ und „sättigt und nährt“ nachträglich & korrelativ ergänzt! Das wirkt ganz anders als bei Weckherlin & Opitz; besser, weil ungezwungener und fließender.

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