Nach dem Aufspüren von Hexametern in Hans Carossas Prosa ist es sicher richtig, eines seiner Gedichte vorzustellen. „Alter Baum im Sonnenaufgang“ findet sich im schon erwähnten fünften Band der Hans-Carossa-Jubiläumsausgabe, erschienen 1978 bei Insel, auf Seite 188:
Frühnebel steigt aus einsam altem Baum.
Es lichten sich die weiten Astwerkräume,
Die purpurbraunen, rostbespritzten Blätter,
Die nur der Frost noch festhält. Schwarz von Osten
Aufwogt Gebirg. Aus hoher Gipfelzacke
Strömt weißer Brand und saugt in großen Zügen
Den Dunst nach oben, schräge Strahlen lagern
Herab, leis knisternd fallen Blätter –
Und stärker schüttert Licht. Es klingt, braust, – schaudernd
Erwacht der dunkle Baumgeist; in die Sonne
Reckt er sich tausendzweigig, nieder
Wirft er die breite purpurne Belaubung,
Und Himmel, Himmel füllt das nackte Holz.
Das ist bestimmt kein schlechter Text, aber, hm: irgendwie klingt er falsch?! Nicht selbstverständlich, nicht in sich ruhend genug für einen Blankverstext. „Aufwogt Gebirg“, „Und stärker schüttert Licht“, solche Ausdrücke: die scheinen mir für einen Hexametertext passender. Und tatsächlich:
Reckt er sich / tausend- / zweigig, || nieder / wirft er die / breite
– Da verbirgt sich ein Hexameter in den Blankversen?! Jedenfalls fast; die Zäsur sitzt falsch. Aber sonst … Auch ein Adjektiv wie „tausendzweigig“ ist eher ein Hexameter-Wort.
Ein klein wenig, mehr nicht; aber ein klein wenig klingt dieser Text wie ein Musikstück, das für ein anderes Instrument geschrieben wurde als das, auf dem es aufgeführt wird.