Dieses Mal möchte ich eine längere Verserzählung in Blankversen vorstellen: Christoph Martin Wielands „Geron der Adeliche“ (nach altem Vorbild) aus dem Jahr 1777, hier in der Fassung von 1796. Wieland kennen viele heute gar nicht mehr, aber ich finde, er ist jemand, dem man unbedingt zuhören sollte – auch seiner Prosa, aber vor allem seinen Versen. Die sehen trügerisch einfach aus und sind doch alles andere als das!
Los geht es mit einer Rahmenhandlung: König Artus hält im Freien Hof, als ein unbekannter „schwarzer Ritter“ auftaucht und die Anwesenden auffordert, „einen Ritt mit mir zu tun“.
Der König Artus und die dreißig Ritter,
Die um ihn standen, allesamt Genossen
Der Tafelrunde, waren nicht die Männer,
Die sich um sowas zweimal bitten ließen;
Und statt der Antwort liefen alle stracks
Den Bäumen zu, wo ihre Lanzen hingen, und
Die Knappen bei den hohen Rossen standen.
Und Artus und die Ritter alle schwangen
Auf ihre Rosse sich, den Schild am Arm,
Den Speer gefällt, und ritten nach dem Plan,
Wo seinen Stand der fremde Ritter schon
Genommen hatte. König Artus ritt
Der erste. Beide legten ihre Lanzen ein,
Bedeckten mit dem Schilde sich, und rennten
Die Rosse spornend auf einander los,
So mächtig, dass die Erde unter ihrem Stampfen
Erbidmete; und, wie sie nun im Sturm
Zusammentreffen sollten – hielt
Der Fremde seinen Speer hoch in die Luft,
Und fing den derben Stoß des Königs auf
Mit seinem festen Schilde, dass die Lanze
Vom Gegenschlag in tausend Splitter brach,
Und König Artus kaum mit Arbeit sich
Im Bügel fest hielt. Aber unerschüttert saß
Der schwarze Ritter, und, sobald sein Ross
Sich ausgelaufen, schwenkt‘ er, ritt zum König
Hinan, und sprach gar ehrbar: „Edler Herr,
Dass wollte Gott nicht, dass ich meinen Speer
Gebrauche gegen euch! Gebietet mir
Als einem, der zu eurem Dienst aus Pflicht
Und gutem Willen sich gewidmet hat.“
Ein paar ältere Spracherscheinungen sind drin, etwa „(er-)bidmen“ = „(er-)beben“, aber fließt die Sprache nicht wunderbar durch die Verse?!
Der schwarze Ritter besiegt alle Ritter der Tafelrunde und gibt sich dann als Branor zu erkennen, ein wahrlich alter Kämpe:
„Herr König, hundert Jahre schon und drüber
Hab ich erlebt, hab manchen guten Mann
Auf seiner Amme Schoß gesehen, manchen bessern
Begraben helfen. …“
Danach erzählt Branor die eigentliche Geschichte; Gerons. Der war seinem Freund Danayn tief verbunden, durch Liebe und Todesbund; doch dessen Vermählte, die Frau von Maloank, verliebt sich in Geron, und auch andersherum ist sie Gernon nicht gleichgültig; doch aus Treue gegenüber seinem Freund wehrt er alle Angebote ab. Als er dann aber in Danayns Abwesenheit die Frau von Maloank aus den Händen eines Entführers rettet und mit ihr allein ist, wird er doch schwach – sie rasten an einem Brunnen, er legt die Rüstung ab und will zur Geretteten treten; da fällt sein Schwert in den Brunnen, Geron birgt es und kommt zur Besinnung:
„Wo bin ich? – Gott im Himmel! Welche Tat
Zu tun kam ich hierher?“ Die Knie erschlafften ihm
Vor dem Gedanken. Und, sein Schwert noch in der Hand,
Setzt auf den Brunnen er sich hin, der Frau
Den Rücken kehrend, kummervoll, und sinkt
Aus einem traurigen Gedanken in den andern.
Und wie die Dame, die noch kaum zuvor
Ihn froh und wacker sah, so plötzlich ihn
In solche wunderbare Schwermut fallen sieht,
Erschreckt sie des, und weiß nicht, was davon
Sie denken soll. Und um zu sehen, was ihm ist,
Geht sie mit leisen Schritten furchsam hin
Und spricht zu ihm: „Mein Herr, was sinnet ihr?“
Und Geron, ohne ihr zu achten, blickt
Mit starren Augen auf sein Schwert, und gibt
Ihr keine Antwort. Lange harret deren
Die holde Frau, und da er keine gibt,
Tritt sie noch näher hin und wiederholt
Mit sanfter Stimme: „Lieber Herr, was sinnet ihr?“
Und tief erseufzend „Was ich sinne?“ spricht
Der Ritter, „so erbarme Gott im Himmel
Sich meiner Seele, Frau, als ich nach dem,
Was ich an meinem Bruder Danayn
Begangen, länger nicht zu leben würdig bin!“
Dann stößt er sich das Schwert durch den Leib, sie verhindert, dass ers nochmal tut, Danayn erscheint und will helfen, Geron verweigert die Hilfe, nimmt sie schließlich doch an und gesundet nach und nach; für die Frau von Maloank war das alles aber zuviel, sie bekommt hohes Fieber und stirbt drei Tage später – Ende der Geschichte.
Erzählt hat sie Branor sicher nicht unabsichtlich in der Gegenwart von Königin Genievra und Lancelot:
Die Königin, die, während er erzählte,
Bald todblass worden war, bald feuerrot,
Rief, ihre Unruh zu verbergen, seufzend aus:
„’s ist eine traurige Geschichte! „Und wie ging’s
Nun eurem Geron weiter?“ – fragte Lancelot.
„Nach der Geschichte“, spricht der alte Branor, „hab
Ich nichts mehr zu erzählen.“
Rittergeschichten also … Muss man nicht mögen. Ich tu’s, aber selbst, wenns anders wäre; diese Szene am Brunnen hätte sich mir auf jeden Fall eingeprägt. „Mein Herr, was sinnet ihr?“
Und der Einstieg, der „Ritt“ von Artus und Branor – ganz große Verskunst!