Das Verhältnis von Satz und Vers, beziehungsweise das Verhältnis von Satzeinschnitten und Verseinschnitten kam beim Verserzähler schon in Der Hexameter (78) zur Sprache, wo Johann Heinrich Voß‘ Anmerkungen aus seiner „Georgica-Vorrede“ vorgestellt wurden.
In diesem Eintrag soll es um denselben Gedanken gehen, vorgeführt und verdeutlicht aber nicht am Hexameter, sondern am Alexandriner, genauer: an einigen Alexandriner-Couplets des Barock-Epigrammatikers Friedrich von Logau!
Der Tod
Ich fürchte nicht den Tod, der mich zu nehmen kümmt;
Ich fürchte mehr den Tod, der mir die Meinen nimmt.
Hier fallen der Satzeinschnitt, beziehungsweise der Einschitt zwischen Haupt- und Nebensatz, mit dem (beim Alexandriner immer nach der sechsten Silbe liegenden) Verseinschnitt zusammen:
x X x X x X || x X x X x X
Das muss aber nicht so sein!
Die Sünden
Die Sünden scheiden Gott von uns und uns von Gott;
Ach, da wo Gott nicht ist, ist lauter Höll und Tod.
Der Satzeinschnitt liegt im ersten Vers hier:
Die Sünden scheiden Gott von uns || und uns von Gott;
Der Verseinschnitt liegt dagegen zwei Silben weiter vorne …
Die Sünden scheiden Gott || von uns und uns von Gott;
… und ich denke, er sollte im Vortrag auch hörbar gemacht werden, zumindest durch ein ganz kurzes Zögern und Absetzen; denn er hat hier durchaus eine Wirkung, da er die Scheidung Gott / Mensch erfahrbar macht!
Liebe brennt
Die Fische lieben auch; mag Wasser-Liebe brennen?
Kein Fisch bin ich, und sie sind stumm; wer will’s bekennen?
Hier geht es um den durch zwei kräftige Satzeinschnitte dreigeteilten zweiten Vers. Trotzdem ist der Verseinschnitt da – und kann auch hier zur Geltung gebracht werden! Dass dies möglich und sinnvoll ist, zeigt das Einfügen eines zusätzlichen Satzzeichens:
Kein Fisch bin ich, und sie – sind stumm; wer wills bekennen?
Ein kurzes Zögern vor der Pointe; das wird dem Inhalt gerecht, glaube ich.
Steuer-Kalender
Im Steuer-Almanach ist keine rote Schrift;
Sie feiert, weil die Welt steht, keine Stunde nicht.
In diesem Epigramm (leicht unverständlichen Inhalts) führt der zweite Vers die weitestmögliche Unterdrückung des Verseinschnitts vor; die kräftigen Satzeinschnitte liegen vorne und hinten, und der Verseinschnitt in der Mitte bleibt unhörbar. Dass er aber da ist und den Vers gliedert, zeigt der Wortschluss, der mit dem Schluss des ersten Halbverses zusammenfällt („Welt“)! Das ist die Grenze, die nicht überschritten werden darf, soll ein Vers noch als Alexandriner gelten.
Im allgemeinen aber fallen Satz- und Verseinschnitt weit häufiger zusammen, als dass sie auseinandertreten; und so hat man den Alexandriner im Ohr. Das letzte hier vorgestellte Epigramm Logaus hält es auch so:
Frühling und Herbst
Der Frühling ist zwar schön; doch wann der Herbst nicht wär,
Wär zwar das Auge satt, der Magen aber leer.