Erzählformen: Das Sonett (2)

Eigentlich müsste ich, wie es in Vorstellungen der anderen Erzählverse und -formen auch geschieht, eine Beschreibung des Sonetts geben; aber das wäre zu umfangreich und zu mühselig angesichts seines nur gelegentliches Auftauchen beim „Verserzähler“. Einer Form, die seit 800 Jahren in Gebrauch ist und ihren Weg in sämtliche europäischen Literaturen gefunden hat, ist mit einer kurzen Beschreibung nicht gerecht zu werden. Ich verweise also stattdessen auf den folgenden Eintrag und gebe nun Gottfried Keller das Wort, dessen „In der Stadt“ ein wunderbares Erzähl-Sonett ist:

 

Wo sich drei Gassen kreuzen, krumm und enge,
Drei Züge wallen plötzlich sich entgegen
Und schlingen sich, gehemmt auf ihren Wegen,
Zu einem Knäul und lärmendem Gedränge.

Die Wachparad‘ mit gellen Trommelschlägen,
Ein Hochzeitzug mit Geigen und Gepränge,
Ein Leichenzug klagt seine Grabgesänge:
Das Alles stockt, kein Glied mehr kann sich regen.

Verstummt sind Geiger, Pfaff‘ und Trommelschläger;
Der dicke Hauptmann flucht, dass Niemand weiche,
Gelächter schallet aus dem Hochzeitzug.

Doch oben, auf den Schultern schwarzer Träger,
Starrt in der Mitte kalt und still die Leiche
Mit blinden Augen in den Wolkenflug.

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