Erzählverse: Der trochäische Vierheber (13)

In Wilhelm Waiblingers „Kalonasore“ findet sich ein Abschnitt, in dem erzählt wird; und sonst nichts. Die bisherigen Textbeispiele enthielten ja auch immer Erklärung oder Betrachtung, bei Waiblinger aber ist alles sehr schlicht gezeichnet – hier die Guten, da die Bösen – und ansonsten alles rasend schnelle Handlung. „Hatagan“ meint ein Messer!?

 

Nah am Ufer trieb ein Schiffchen,
Eine junge, schöne Griechin,
An die Brust zwei Kinder drückend,
Rang im Wollustarm der Türken
Hilfe schreiend ihre Hände.
Und die Ungeheuer rissen
Ihr mit frevelndem Beginnen
Die Gewänder von dem Busen.
„Folgt mir!“ rief ich den Gefährten,
Stürzte mich ins Wasser, sprang
Mit des Degens Schwung mich sichernd,
In den Kahn, die Brüder folgten.
Wütend schwang der junge Finne
Seinen Hatagan, der brave
Capitano fiel von einem
Säbelhieb hinab ins Wasser.
Zwei der Muselmannen sanken
Unserm Hieb ins Meer, da schwang
Einer den gewaltgen Säbel,
Hieb des Säuglings Haupt entzwei,
Dass ein blutend Stück der Mutter
In die Arme sank, das andre
Riss er lachend ihr vom Herzen,
Rasend fasst ich seine Gurgel,
Warf den Bluthund auf die Bretter,
Riss der Philhellenen Einem
Die Pistole vom Gehänge.
Und die Kugel fuhr dem Mörder
Schmetternd ins Gehirn; das Kleine
Zog ich rasch aus seinen Armen,
Warfs der Mutter an die Brust,
Schlang den Arm um ihre Hüften,
Hob sie mächtig in die Höhe,
Sprang mit ihr hinab ins Wasser.
Gott! wie sie bewusstlos, zitternd
Nur ihr Kleines an sich fasste,
Und die kalten bleichen Wangen
In dern Schauern des Gewässers
Auf die offne Brust mir legte,
Und die braunen Seidenlocken,
Aufgelöst in lange Wellen,
Mir Gesicht und Schulter nässten!
Die Gefährten schlugen tapfer
Mit dem Feind sich auf dem Schiffchen,
Schwammen siegreich an das Ufer,
Einer seines Arm beraubt.

 

Dass hier und da die Vorstellung des Lesers hinter seinen Bildern zurückbleibt, scheint Waiblinger nicht zu kümmern. Gleich zu Beginn stellt sich ja die Frage, wie die Griechin es schafft, gleichzeitig zwei Kinder an die Brust zu drücken und die Hände zu ringen?! Der Vers passt sich der Geschwindigkeit des Erzählens an: Nur sehr wenige Verse enden betont (dafür aber, seltsamerweise, dann einmal mit Reim: „sprang | schwang“), Zeilensprünge sind häufig und nehmen dann fast gar keine Rücksicht auf die Verseinheit:

Wütend schwang der junge Finne
Seinen Hatagan, der brave
Capitano fiel von einem
Säbelhieb hinab ins Wasser.

Noch nicht einmal die Zeit für einen Punkt nimmt sich Waiblinger an Stellen, wo einer stehen müsste:

Riss er lachend ihr vom Herzen,
Rasend fasst ich seine Gurgel,

Trotzdem sind die Verse Vierheber im Wortsinn, vieles von dem, was für sie üblich ist, findet sich hier auch, etwa die Reihung von gleichem, der Satzhandlung am Versbeginn zum Beispiel:

Zog ich rasch aus seinen Armen,
Warfs der Mutter an die Brust,
Schlang den Arm um ihre Hüften,
Hob sie mächtig in die Höhe,
Sprang mit ihr hinab ins Wasser.

Das „zog“ ist noch Teil des Satzes aus dem Vorvers, aber dann: viermal die Einheit von Vers und Handlung, nach dem gleichen Bauplan! Auch das erzeugt „Erzähl-Geschwindigkeit“?!

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