Das 19. Jahrhundert hat Dutzende Hexameter-Texte hervorgebracht, die heute niemandem mehr zumutbar sind; einer davon ist „Hermann der Cherusker. Ein Heldengedicht in zwölf Gesängen“ von Georg Christian Braun, erschienen 1819. Irgendein Ansatzpunkt für sinnvolles Nachdenken findet sich aber doch immer – hier ist es eine Rezension aus der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ von 1821, in der in Bezug auf die Versbewegung unter anderem behauptet wird:
Auch ist es nicht gut, wenn nach einem daktylischen Anfang ein Spondeus, der nicht einmal ein voller ist, wieder einem nachfolgenden Daktylus vorangeht, wie es in mehreren Hexametern des Verfassers der Fall ist:
Stumm und der / Vater / wandelt für / sich || den / schweigenden / Weg fort
— ◡ ◡ / — ◡ / — ◡ ◡ / — || ◡ / — ◡ ◡ / — ◡
Hm – das ist mir gänzlich neu … Aber gut, schauen wir mal; das wird beim künftigen Lesen der wichtigen, weil guten und wirksamen Hexameter-Texte mitgedacht, und dann wird sich ja zeigen, wie das die „Großen“ gehandhabt haben!
Hier für’s erste noch einige Hexameter vom Anfang des „Heldengedichts“ – Hermann kehrt aus Rom in die Heimat zurück und kommt zum Hain und zu den Gräbern der Väter:
Eichen waren gepflanzt auf jeglichem Hügel und alt war
Mancher Baum, und dem Baum entweheten Schauer der Geister.
Um die Hügel schweben sie her in mondlicher Dämmrung,
Säuseln bewegliche Wipfel hindurch, und wie menschliche Laute
Klingen zuweilen dem lauschenden Ohr die geistigen Töne.
Wie wenn Harfen gelehnet am Baum (es schlafen die Sänger
Nach durchkämpfeter Schlacht im weichen Moose daneben)
Singen von selbst, als ob beseelende Hand sie berührte:
So war der Geister Geflüster umher in den Wipfeln, und Hermann
Hört es mit Rührung des Sinns, und ging ins Innre, voll Wehmut,
Setzte sich hin auf das frischeste Grab, von der Ahnung ergriffen,
Ob nicht vielleicht der Vater ihm hier, der gealterte, ruhte,
Den der Schmerz um die Knechtschaft des Volks zu der stillen Behausung
Ewiger Freiheit geführt. (…)
Vom Versbau her gibt es da nicht viel zu beanstanden, was auch die angeführte Rezension anerkennt:
Doch auch dieser Tadel kann das Lob keineswegs aufheben, das wir der Sorgfalt und der Kunst widmen müssen, welche der Verfasser auch von dieser Seite her seinem Gedichte größtenteils gewidmet hat.
Inhaltlich aber, hm: ist da vieles umständlich-behäbiges, was einem heutigen Leser ziemlich aus der Bahn wirft: „Rührung des Sinns“, sowas. Und auch die Begeisterung für „Hermann den Cherusker“ und das Germanische, die doch eher eine zeitgebundene des 19. Jahrhunderts war, vermittelt sich heute nicht mehr.