Erzählverse: Der Hexameter (150)

Aus Wilhelm von Humboldts Anfang des 19. Jahrhunderts verfassten „Betrachtungen über das klassische Altertum“, die im eigentlichen Titel „Hellas und Latium“ heißen, finden sich unter den Bemerkungen zur altgriechischen Dichtung auch diese Zeilen zum Hexameter:

Nie hat sich die Dichtung irgend eines Volks in einem so weiten, sich allen Empfindungen sogleich anschmiegenden, so voll wogenden Elemente bewegt. Der ursprünglichste und älteste Vers der Griechen, der Hexameter, ist zugleich der Inbegriff und der Grundton aller Harmonien des Menschen und der Schöpfung. Wenn man bewundert, wie es möglich war, einen solchen Umfang und solche Tiefe in so einfache Grenzen einzuschließen, wenn man erwägt, dass dieser einzige Vers die Grundlage aller andern poetischen Rhythmen ist, und dass ohne den Zauber dieser Harmonien die wundervollsten Geheimnisse des Gemüts und der Schöpfung ewig unerschlossen geblieben wären, so versucht man umsonst, sich die Entstehung einer so plötzlich auftretenden Erscheinung zu erklären. Wenn man sich das Hin- und Wiederfluten aller lebendigen Bewegung der ganzen Schöpfung nach gesetzmässiger Harmonie hinstrebend denkt, so ist es, als hätte sie endlich ihr üppiges Überschwanken in diese leicht beschränkenden Maße beschwichtigt, sich beruhigend in diese Weise eingewiegt, die dann ein glücklich organisiertes Volk ergriff, und in seiner Sprache heftete. So viel mehr scheint dieser Vers dem Rhythmus der Welt als dem Stammeln menschlicher Laute anzugehören.

Ich lasse das einfach so stehen. Ganz ernst muss man diese Gedanken, die in einer Zeit höchster Griechenbegeisterung und -verehrung entstanden sind, nicht nehmen; aber ein Fingerzeig in die richtige Richtung sind sie doch, denke ich. Wie auch dieses Zitat Humboldts, das sich etwas weiter hinten im Text findet:

Denn es ist immer dasselbe Suchen des Unendlichen im Endlichen, der Gottheit im Irdischen, da einmal nicht zu leugnen ist, dass in diesem mehr als bloß Irdisches liegt und dieses Mehr doch nur der Begeisterung zugänglich ist.

Alles kleine Bausteine zu einem Verständnis des Hexameters, das über ein reines Silbenbild hinausgeht!

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