Erzählverse: Der Hexameter (151)

Im Hexameter können bekanntlich die ersten vier, der daktylischen Grundart des Verses entsprechenden dreisilbigen Versfüße durch zweisilbige ersetzt werden. Die Frage, wie diese zweisilbigen Füße im Deutschen auszusehen haben, ist in den Anfangszeiten des Verses eindringlich bedacht und besprochen worden, genau wie die Texte, die aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse geschrieben wurden; und auch heute noch ist das einer der Punkte, über die sich ein Verfasser unbedingte und äußerste Klarheit verschaffen muss, wenn sein eigener Hexameter klar, eindringlich, überzeugend und wiedererkennbar klingen soll!

Da hilft es ungemein, die in der Vergangenheit schon gegebenen Antworten durchzusehen, um zu schauen, was überzeugt, was nicht überzeugt; und was man als Bausteine des eigenen Verses an einzelnen Dingen aus solchen Darstellungen übernehmen kann.

Zweisilbige Versfüße, das sind im deutschen Hexameter entweder „Trochäen“ (betonte, schwere erste Silbe / unbetonte, leichte zweite Silbe) oder „Spondeen“ (betonte, schwere erste Silbe / eher etwas weniger betonte, schwere zweite Silbe), wobei die Übergänge fließend sind. Da der antike Hexameter im Versinneren keine Trochäen kennt, ist ihre Verwendung in der deutschen Nachbildung des Verses immer eine wichtige Frage gewesen.

Leonard Martin Eisenschmid hat in seiner „Theorie der Dichtungs-Arten: Nebst einer Verslehre“ folgende Regeln für die Verwendung der Trochäen gegeben (ausgehend von einem Vers, der aus „Daktylen“ und „Spondeen“ besteht und die zusätzliche Verwendung von „Trochäen“ zulässt):

1) Man lasse nie zwei trochäische Versfüße aufeinander folgen.
2) Man lasse weder auf einen Worttrochäus noch auf ein trochäisch endendes Wort einen Trochäus folgen; selbst keinen scheinbaren Trochäus, der durch das folgende Wort zum Daktylus wird: „Gute Freunde verstehn“.
3) Vor und nach einem gesenkten Wortspondeus darf kein Worttrochäus stehen; zum Beispiel „Deutschland, zittre!“
4) Vor der männlichen und weiblichen Zäsur meide man den Worttrochäus.
5) In einem der ersten drei Füße ist der Trochäus weniger auffallend als im vierten, wo er nur selten, und im fünften, wo er nie stehen darf.

Als (Ersatz für) Spondeen statthaft sind nur:

1) Jene Trochäen, die mit säumender Mittelzeit in der Senkung für Spondeen gelten können, zum Beispiel Wahrheit, Hoffnung, Kenntnis, sittsam, schamhaft, haltbar, glaubhaft.
2) Trochäen, deren Kürzen entweder durch kräftig schallende Vokale oder Diphthongen oder durch eine Position mit drei und mehr Konsonanten an Dauer in der Aussprache gewinnt: Roma, Sultan, Orpheus, zitternd, schimmlicht, weiland.
3) Trochäen, wo die Kürze von der Länge getrennt eine Pause gestattet, besonders bei einer Elision: lob‘ es, schmettr‘ ihn, oder bei einem Haupteinschnitt des Verses.
4) Trochäen mit einer weiblichen Kürze zwischen zwei notwendigen Längen in zusammengesetzten Wörtern und Begriffen, zum Beispiel Angestemmt, Fuß an Fuß; oder dort, wo das Wort in den folgenden Fuß hinübergreift und das Ohr über die Kürze weghebt, zum Beispiel „schön geschleierte Deo“.

Eine klare Sicht auf die Dinge; aber nur eine unter vielen, die man bedenken und bewerten sollte, um dann das für das eigene Schaffen nützliche daraus mitzunehmen! „Richtig“ und „falsch“ sind dabei nicht unbedingt die entscheidenen Beurteilungsmaßstäbe – das ist eher die Frage „Hilfreich oder nicht bei der Ausbildung meines Hexameters?“

Ich fand Eisenschmids Ausführungen für mich recht brauchbar und halte sie auch im allgmeinen für ausgewogen und belastbar; weswegen ich sie hier mitteile.

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