Erzählverse: Der trochäische Fünfheber (20)

Ferdinand Avenarius‘ „Der Getreue“ ist kein wirklich gutes, aber dafür ein unerschrockenes Stück Dichtung:

 

Kommt nach Wanderjahren heim der Jüngling,
Halten ihn zurück betrübte Freunde:
„Nah‘ ihr nicht, es würgt die Pest dein Liebstes,
Keiner kann sie retten, und dich selber
Würgt mit ihr die Würgerin, wenn du nahst!“

Aber lächelnd hört der Heimgekehrte,
Wie sie sprechen: nur sein Auge schaut sie,
Seine Seele blickt auf unsichtbare,
Liebe, stille Bilder. Wo verlassen
Stöhnt, die jüngst noch schön und froh gewesen,
Dahin schreitet er, kniet ruhig nieder,
Nimmt ihr Haupt wie einst in beide Hände,
Küsst sie auf den Mund mit langem Kusse.

Und ein Schweigen zieht mit weiten Wellen
Über sie und wird zu blauen Tiefen.
Darein stäubt’s von Silbersonnenschimmer,
Flüstert es von leichtem Flügelwehen,
Singt es hell aus reichem Wipfelrauschen,
Jubelt’s auf aus vollen Lenzgesängen . . .

Und die beiden sehen sich . . .

Aber von den Häusern, hier und drüben,
Dort und rings, was springen auf die Tore?
Sich umarmend, grüßen sich die Menschen:
Jäh erloschen ist die Pest.

 

Im ersten und zweiten Abschnitt holpert es etwas, die Bezüge erschließen sich nicht immer überzeugend. Aber dann: „Und ein Schweigen zieht mit weiten Wellen / Über sie und wird zu blauen Tiefen“. Das, und den Rest, muss man sich trauen – heute ganz bestimmt, aber ich denke auch zu Avenarius‘ Zeiten schon; frei von der Furcht, ausgelacht zu werden …

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