Erzählverse: Der Hexameter (156)

Gustav Pfizer hat ein seltsames Mischwesen erschaffen, das er „Ghasel“ überschrieben hat:

 

Hatte ich Wein getrunken am Morgen, um schnöd‘ zu vergessen,
Dass zu verzeih’n des Propheten Gebot ist?
Schmerz hat den Spiegel der Seele betrübt, nicht bedacht ich, dass Zürnen
Nicht zum Leben der Weg, nur zum Tod ist.
Treffen wollt‘ ich dein Herz, doch mein Pfeil jetzt vom eigenen Blute
Und vom Weinen das Auge mir rot ist.
Zürne, Geliebter, mir nicht! Schon duld‘ ich jegliche Strafe,
Die dem Verräter der Liebe gedroht ist.
Trotzig zog ich zum Kampf, doch die blaue Kling‘ ist gebrochen
Und besudelt die Fahne von Kot ist.
Wisse, dass Jammer mein Ross, und träumende Sorge mein Lager,
Tränen mein Wein und Kummer mein Brot ist.
Einst war ich reich an Zimmet und Weihrauch; aber dem Armen
Kaum noch vom Pfunde übrig ein Lot ist.
Kehre, o Holder, zurück! Du weißt, dass Hafis zum Leben
Liebe und Liebe genießen so not ist.

 

Das ist, denke ich, aus vielerlei Gründen ein schlechtes Gedicht; formal gesehen hält es die Vorgaben des Ghasels nicht ein, das ja ein Reimschema der Form aa xa xa xa … verlangt; dann benutzt es Hexameter in einem Reimgedicht, und ein „Bewegungsvers“ im Rahmen einer „Klangform“ ist nie ein guter Gedanke. Immerhin reimt sich nie der Hexameter, sondern die Reime auf „-ot“ (samt dem Überreim „ist“) stehen in den kürzeren Vierhebern; aber trotzdem.

Wieder einmal ein Beispiel, dass die Vermischung von Formen, die gegensätzliche Ansprüche an die Sprache stellen, zu einem unverträglichen Gemisch führt, in dem das eine Prinzip so wenig wie das andere wirken kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert