Erzählverse: Der trochäische Vierheber (9)

Neben der Anakreon-Nachfolge und der finnischen Kalevala hat, wie schon erwähnt, der Vierheber noch auf einem anderen Weg Einzug in die deutsche Dichtung gehalten: über die Übersetzung von spanischen Texten und die darin verwendeten „spanischen Trochäen“. Den Anfang machte dabei Johann Gottfried Herder, der Romanzen um „El Cid“, den spanischen Nationalhelden, ins Deutsche übertrug. Seine Verse lesen sich so:

Lärm und Schlachten, Blut und Feuer,
Kriegesstimmen allenthalben,
Trommeln, Pauken und Drommeten
Schallen in Kastilien laut.

Denn kaum hatte mit den Brüdern
Seines Vaters Sarg Don Sancho
Mitbegleitet an die Gruft,
Steigt er auf sein Ross, und blasen,
Blasen läßt er allenthalben
Gegen seine Brüder Krieg.

Klingt schon mal recht episch; eines Nationalhelden würdig! Was Herder hier nicht umsetzt, ist eine typische Eigenschaft der ursprünglichen Romanzendichtung: die Assonanz. In den gereihten spanischen Romanzen-Versen sind nämlich immer die letzten betonten Silben der geradzahligen Verse durch den gleichen Vokal verbunden, bei unterschiedlichen Konsonaten (sonst wäre es ein Reim). Das haben die deutschen Dichter nach Herder dann gleichfalls so gehalten, zum Beispiel Joseph von Eichendorff in einem sehr kurzen Text:

Der Seemann

Früh am Sankt Johannistag
Fiel ein Seemann in das Wasser.
Was erhalt ich, Schifferlein,
Wenn ich rette dich zum Strande?
Geb‘ dir alle meine Schiffe
Samt der Gold- und Silberladung.
Nicht nach allen deinen Schiffen,
Deinem Gold und Silber frag ich,
Deine Seele, wenn du stirbst,
Will ich nur zum Lohne haben.
Meine Seel‘ empfange Gott,
und den Leib das salz’ge Wasser!

Jaja. Da sieht man, erstens: Was Eichendorff angezogen hat an der spanischen Dichtung – der „katholische Gehalt“; zweitens, dass Eichendorff so recht nicht aus seiner dichterischen Haut konnte; und drittens, und das ist hier das wichtige – die geradzahligen Verse haben als letzten betonten Vokal alle ein „a“!

Das ist eine viel weniger auffällige Art, Gleichklangwirkungen in einen Text zu bringen, als ein Reim; wer es mal versuchen möchte, kann sich ja bei den deutschen Romanzendichtern umschauen und einlesen! Ich denke, das lohnt sich; auch, weil ein Reim ja immer neben der Aufmerksamkeit, die er verlangt, und die anderen Gestaltungsmerkmalen des Textes dann fehlt, auch den Satz formt und der Dichter es dadurch schwerer hat, den Text „fließen“ zu lassen.

Nach den beiden damit vorgestellten Abwandlungsmöglichkeiten des gereihten, ungereimten trochäischen Vierhebers – Strophe und Assonanz –  möchte ich aber im nächsten Beitrag wieder zurück zum eigentlichen Vers.

Als Übergang hänge ich hier noch Conrad Ferdinand Meyers „Camoëns“ an. Portugal also, nicht Spanien, und „Nationaldichter“, nicht „Nationalheld“ … Und auch kein wirklich tief beeindruckendes Werk; aber wie Meyers „Don Fadrique“ den kleinen Abstecher in den Süden eingeleitet hat, so beschließt ihn nun sein „Camoëns“ – ganz ohne Strophen und ohne Assonanzen!

Camoëns, der Musen Liebling,
Lag erkrankt im Hospitale.
In derselben armen Kammer
Lag ein Schüler aus Coimbra,
Ihm des Tages Stunden kürzend
Mit unendlichem Geplauder.

„Edler Herr und großer Dichter,
Was sie melden, ist es Wahrheit?
Dass gescheitert eines Tages
Am Gestad von Coromandel
Sei das undankbare Fahrzeug,
Das beehrt war, Euch zu tragen?
Dass Ihr, kämpfend in der Brandung,
Mit der Rechten kühn gerudert,
Doch in ausgestreckter Linken
Unerreicht vom Wellenwurfe
Hieltet Eures Liedes Handschrift?
Schwer wird solches mir zu glauben.
Herr, auch mir, wann ich verliebt bin,
Sind Apollos Schwestern günstig;
Aber ging‘ es mir ans Leben,
Flattern meine schönsten Verse
Ließ‘ ich wahrlich mit dem Winde,
Brauchte meine beiden Arme!“

Antwort gab der Dichter lächelnd:
„Solches tat ich, Freund, in Wahrheit,
Ringend auf dem Meer des Lebens!
Wider Bosheit, Neid, Verleumdung
Kämpft ich um des Tages Notdurft
Mit dem einen dieser Arme.
Mit dem andern dieser Arme
Hielt ich über Tod und Abgrund
In des Sonnengottes Strahlen
Mein Gedicht, die Lusiaden,
Bis sie wurden, was sie bleiben.“

… Nämlich die portugisische Nationaldichtung, und das bis heute.

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