Erzählverse: Der Hexameter (9)

Schiller verbessert (1)

1795 schrieb Schiller die 108 Distichen seiner zu recht berühmten „Elegie“. Später nannte er das Gedicht um in „Der Spaziergang“, kürzte es dabei um acht Distichen und änderte auch bei den verbleibenden Versen einiges. Von den 100 Hexametern des Stücks wurden immerhin 30 verändert! Die Änderungen waren dabei manchmal sehr geringfügig, machmal aber auch umfassend. Im einfachsten Fall waren die Verse einfach nicht regelgerecht gebaut, und Schiller schaffte mit einer kleinen Änderung Abhilfe. Hier etwa:

Aber im stillen Gemache zeichnet bedeutende Zirkel

Die anzunehmende Zäsur sitzt falsch, nicht in einer metrischen Grundeinheit, sondern zwischen zweien; und die Ausweichlösung, de Zäsur hinter „zeichnet“ zu lesen, klingt ziemlich schräg?!

Aber im / stillen Ge- / mache || zeichnet be- / deutende / Zirkel

Schiller ändert leicht an zwei Worten, fertig: Die Zäsur sitzt innerhalb einer Einheit!

Aber im stillen Gemach entwirft bedeutende Zirkel

Aber im / stillen Ge- / mach || ent- / wirft be- / deutende /Zirkel

Ein anderer derartiger Fall liegt in diesem Vers vor:

Aber plötzlich zerreißt die Hülle. Der geöffnete Wald gibt

Hier hat sich Schiller um die Zäsur herum einen viersilbigen Versfuß erlaubt …

Aber / plötzlich zer- / reißt die / Hülle. ||  Der ge- / öffnete / Wald gibt

Eigentlich ist das gar nichts schlimmes – eine der drei unbetonten Silben liegt vor der Zäsur, zwei dahinter, und dadurch ist das ganze problemlos sprechbar und klingt auch durchaus wie ein Hexameter. Klopstock hatte viele von diesen Versen in der ersten Auflage seines „Messias“, und Andreas Heusler schreibt über solche Verse in seiner „Deutschen Versgeschichte“:

Der Fall stört die Formel, nicht Zunge und Ohr. Man möchte an diesen Versen nichts geändert wünschen!

Klopstock hat sie aber doch nach und nach umgeschrieben, und Schiller tut es hier auch:

Aber plötzlich zerreißt der Flor. Der geöffnete Wald gibt

Aber / plötzlich zer- / reißt der / Flor. || Der ge- / öffnete / Wald gibt

Einfach „Flor“ statt „Hülle“, und gut.

Solche Verbesserungen sind natürlich nicht übermäßig spannend. Das ändert sich, wenn es um zu leicht oder zu schwer besetzte Stellen im eigentlich richtig gebauten Vers geht. Hier bringt die Änderung oft auch eine deutliche Verbesserung des Verses.

Ehre ward euch und Sieg, doch nur der Ruhm kam zurücke,

Ehre / ward euch und / Sieg, || doch / nur der / Ruhm kam zu- / rücke,

Hier hatte Wilhelm von Humboldt den Daktylus „Ruhm kam zu-“ angemerkt aufgrund der starken Nebenhebung auf dem „kam“. Schiller wusste den Fall in seinem Antwortschreiben spitzfindig zu verteidigen: Das klänge nicht hart,

weil der starke Akzent auf „Ruhm“ das „kam“ gar nicht aufkommen lässt. Mir kommt vor, als könnte man es nicht nur entschuldigen, sondern sogar gutheißen, dass, um gewissen Silben, auf denen ein Verstandes-Akzent liegt, eine größere prosodische Länge zu verschaffen, eine an sich nicht kurze Silbe neben ihnen kurz gemacht wird; wenigstens muss das „Ruhm“ in obigem Vers um so länger gelesen werden, je weniger das „kam“ kurz sein will, und dies ist es gerade, was der Sinn verlangt.

Aha! Das „kam“ hat also ein gewisses Eigengewicht, und um die normale Beziehung zu der betonten Silbe „Ruhm“ aufrechterhalten zu können, muss diese etwas stärker als normal betont werden; das aber entspricht der Sinnstruktur des Verses.

Leuchtet ein. Am Schluss hat Schiller dann aber weder entschuldigt noch gutgeheißen, sondern geändert:

Ehre ward euch und Sieg, doch der Ruhm nur kehrte zurücke,

Ehre / ward euch und / Sieg, || doch der / Ruhm nur / kehrte zu- / rücke,

Mir scheint, er hat gut daran getan – dadurch, dass die Betonung nun auf dem „kehr-“ liegt statt auf des unwichtigeren „nur“, das „nur“ aber in der zweisilbigen Einheit durchaus sein Gewicht hat, hat der Vers an Schärfe gewonnen in meinen Ohren. Obwohl die erste Fassung auch ihren Wert hatte!

Ähnlich liegt die Sache bei folgendem Vers:

Unter mir seh ich endlos den Äther, über mir endlos,

Unter mir / seh ich / endlos den / Äther, || über mir / endlos,

Hier wurde von Humboldt und Schiller nicht der Verseinschnitt verhandelt, der zwar vor einer Einheit liegt, aber vor der fünften, wo es ja geht, sondern derDaktylus „endlos den“  – natürlich wegen der Nebenhebung auf „los“. Schiller ändert auch hier:

Endlos unter mir seh‘ ich den Äther, über mir endlos,

Endlos / unter mir / seh ich den / Äther, || über mir / endlos,

Das „Endlos“ bildet in dieser Fassung eine zweisilbige Einheit (statt Bestandteil einer dreisilbigen zu sein) – ein Gewinn, weil die Nebenhebung auf dem „-los“ nun hilft, die zweisiblge Einheit gegenüber den im Prinzip natürlich schwereren dreisilbigen Einheiten sich behaupten zu lassen. Auch insgesamt gewinnt der Vers beträchtlich, wie schon sein Verfasser gegenüber Humboldt anmerkt:

Dass der ganze Hexameter zwischen den beiden „endlos“ eingeschlossen wird, macht hier, wo das Unendliche vorgestellt wird, keine üble Wirkung. Es ist selbst etwas Ewiges, da es in seinen Anfang zurückläuft.

Na, soweit erstmal. Im zweiten Teil dann einige Verse, bei denen durch die Änderung überhaupt erst das Licht aufscheint im Vers, oder Fälle, wo Schiller einen eigentlich guten Vers bis an die Grenze der Form ausreizt der gesteigerten Wirkung wegen – also die wirklich aufsehenerregenden Fälle …

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