Erzählformen: Das Distichon (62)

Das Distichon ist eine Form, die an rhythmischen Möglichkeiten überreich ist. Allerdings treten nicht alle diese Möglichkeiten gleich häufig in Erscheinung! Eine der seltensten ist sicher der „Antispast“, also die Silbenfolge ◡ — — ◡, bei der zwei „schwere“ Silben von zwei „leichten“ Silben eingerahmt werden. Dafür müssen in der Mitte des Pentameters der Vers- und der Satzeinschnitt auseinandertreten, und der Satz muss dabei zwei Einschnitte aufweisen, jeweils zwei Silben vor- und zwei Silben nach dem Verseinschnitt. Nur dann wird eine antispastische Sinneinheit hörbar!

Ein Beispiel findet sich bei Gustav Schwab:

 

Prognostikon

Wer, zu fallen bestimmt, mit Ehren zu fallen versäumt hat,
Fällt mit Schanden, ein Spott Feinden, und Freunden ein Graun.

 

„Ein Spott Feinden“, ◡ — — ◡!

Wer darauf achtet, findet solche Antispaste nicht oft, aber doch gelegentlich. Ein anderes Beispiel, diesmal von Wilhelm Ernst Weber:

 

Faust

Königlich trägt auf der Stirn er das prometheische Siegel
Sinnender Tiefe, ein Gott stehend, und fallend noch Mensch.

 

„Ein Gott stehend“; ziemlich ähnlich dem Pentameter Schwabs?! Noch ein anderer Fall sind die Pentameter-Einschnitte, die durch ein „über ihnen“ liegendes Wort verwirklicht werden. Das kann gleichfalls antispastisch klingen wie in diesem Distichon eines unbekannten Verfassers:

 

Mehr als einer

Immer sagt ihr, der eine, der Feilschuft, saget doch lieber
Von der Familie der Feil – Schufte, sie ist ja so groß.

 

„Der Feilschufte“. Der Bindestrich ist so vom Verfasser gewollt! (Und nein, was genau ein „Feilschuft“ ist, weiß ich auch nicht …)

Der Antispast hat jedenfalls eine sehr eigene Bewegung. Wer ein wenig mehr wissen möchte, kann im „Hinterzimmer“ des Verserzählers vorbeischauen, wo einige Stimmen zu diesem Versfuß versammelt sind: Der Antispast.

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