Erzählverse: Der Blankvers (93)

Ludwig Gotthard Kosegartens „Das Schattenreich“ ist ein eigenartiges Wechselgespräch zwischen einem seiner Bewohner, Elwill, und Telynhard, der diesen befragt. Die Fragen sind dabei in vier trochäischen Dreihebern gestellt, die Antworten werden in Blankversen gegeben! Ein Auszug:

 

Elwill, ist dir helle,
Wo uns Dunkel hüllt?
Ist dir Wahrheit, Elwill,
Was uns Wahrheit däucht?

„Wohl Manches, was dem eingekerkerten,
Durch enge Gitter mühsam spähenden,
Durch weite Fernen ängstlich horchenden,
Verwiesnen Geiste Blitz der Wahrheit däuchte,
Was Denker mit der Schlüsse Kettenringen,
Was Priesterwut mit Bann und Beil und Holzstoß,
Was Märtyrer mit hingebognem Nacken
Erwiesen, oder zu erweisen wähnten,
Ist dennoch Traum.
Wohl Manches, was der selbstzufriedne Grübler
Als Dichtertraum verlacht, der eitle Spötter
Als Priestermärchen höhnt, der kalte Grübler
Gar in der Unding‘ öde Nacht verbannt,
Ist dennoch Wahrheit.
Eins ist mir helle, was mir dunkel war.
Das Andre dämmert mir nur noch. Das Dritte
Ist rabenschwarze Mitternacht noch immer.
Viel sind der langen Ewigkeit Äonen.
Viel Zeit ist hier zu lernen. Vieles ist
Dem ersten Seraph noch zu lernen übrig.“

 

Man hört: Diese Antworten klingen nach einem Rätselwort, an manchen Stellen stärker, an anderen schwächer. Was aber immer auffällt, ist der Gegensatz zwischen den gewählten Versarten; allemal eine wirkungsreiche Möglichkeit, eine solche Wechselrede zu gestalten!

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