Bertolt Brechts „Kalifornischer Herbst“ ist kein reiner Blankvers-Text, aber vielleicht gerade dadurch geeignet, das eigene „Blankvers-Gehör“ zu überprüfen! Entnommen habe ich ihn den 1981 bei Suhrkamp erschienenen “ Gedichten in einem Band“, wo er auf den Seiten 935 und 936 zu finden ist:
Kalifornischer Herbst
I
In meinem Garten
Gibt es nur immergrüne Pflanzen. Will ich Herbst sehn
Fahr ich zu meines Freundes Landhaus in den Hügeln. Dort
Kann ich für fünf Minuten stehn und einen Baum sehn
Beraubt des Laubs, und Laub, beraubt des Stamms.
II
Ich sah ein großes Laubblatt, das der Wind
Die Straße lang trieb, und ich dachte: Schwierig
Den künftigen Weg des Blattes auszurechnen!
Die ersten vier Verse lassen sicher keinen „Blankvers-Eindruck“ aufkommen: Ein Kurzvers, ein sechshebiger Vers, dann sogar ein Siebenheber, und noch ein Sechsheber, die Langverse dabei recht schwach unterteilt, eher eine Wortmasse als ein gestalteter Vers. Dann aber ändert sich der Eindruck schlagartig: Der fünfte Vers ist ein Blankvers, in sich stark unterteilt durch die inhaltliche Entgegensetzung; und dann folgen im zweiten Teil(-Gedicht?!) drei reine Blankverse, mit keiner Abweichung als der einen doppelt besetzten Senkung („künftigen“) im Schlussvers! Da stellt sich gleich ein Wiedererkennen ein, das Gehör schwingt ein in die Blankvers-Bewegung; aber da ist der Text auch schon zu Ende. Eine eigenartige Erfahrung!