Erzählformen: Das Distichon (78)

Das Distichon ist, seinen allerersten Vertretern vor über 2500 Jahren nach, eine Auf- oder Inschrift. Später hat es sich dann von den Gegenständen gelöst und ist ganz in die Bücher gewandert, „literarisch“ geworden; und findet nur gelegentlich zu seiner ursprünglichen Bestimmung zurück.

In Johann Heinrich Kaufmanns Gedichtsammlung findet sich ein „Fliegendes Blatt. Angebunden am Nachtigallenbrünnchen, auf Herrn Baron von Recums Landgut“, dessen erstes (und eigentlich einziges halbwegs reines) Distichon so lautet:

 

Fördert auch hier mit geschäftiger Hand ein sinnender Genius?
Fügt er zum Wunderbar-Herrlichen geistigen Sinn?

 

„Gen-jus“, offenbar. Auch die Überbrückung der Pentameter-Zäsur fällt ins Auge?! Doch vor allem: Ist etwas „Angebundenes“ wirklich eine „Aufschrift“, etwas untrennbar zum Gegenstand gehörendes?! Aber gut, das habe ich ins Spiel gebracht, nicht Kaufmann. Trotzdem – alles, was an diesen „eigentlichen“ Zweck des Distichons erinnert, in welcher Form auch immer: hat seinen ganz eigenen Reiz.

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