J. Minckwitz stellt die Jugend Abraham Gotthelf Kästners so dar:
Sein Vater, Professor an der Leipziger Universität und Doktor der Rechte, beschleunigte die frühe Ausbildung der trefflichen Anlagen des Knaben dergestalt, dass derselbe, nachdem er schon im zehnten Jahre den väterlichen Vorlesungen beigewohnt, 1731 als zwölfjähriger Student der Rechtswissenschaft aufgenommen werden konnte. Neben juristischen Vorträgen aber hörte er nicht allein philosophische, mathematische und historische, sondern lernte auch unter Anleitung seines Oheims Rudolph Pommer, jenes berühmten Rechtsgelehrten, eine Reihe von Sprachen, Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Schwedisch und Holländisch. Vierzehnjährig wurde er Notar, siebzehnjährig Baccalaureus, achtzehnjährig Magister der sieben freien Künste und zwanzigjährig Dozent in der Philosophie und Mathematik an der Universität.
Das klingt einigermaßen beeindruckend und nach einem wirklichen Wunderkind! Es kommt aber auch immer darauf an, wen man fragt – M. Cantor und J. Minor merken zum Beispiel an, Kästner habe neben den von Minckwitz genannten „Vorträgen“ auch noch „Botanik, Chemie, Feldmessen, Anatomie und gerichtliche Medizin zu verschiedenen Zeiten gehört“; und vielleicht noch spannender, in Bezug auf Kästners Sprachkenntnisse:
Der Vater starb 1747 ohne Vermögen zu hinterlassen, und Kästner fiel die Sorge für die kränkliche Mutter zu, zunächst in Gemeinschaft mit dem Oheim, dann, als auch dieser 1750 starb, allein. Da galt es Geld zu erwerben und Kästner bediente sich dazu seiner Kenntnisse in den modernen Sprachen, welche zu jener Zeit, weil seltener, noch lohnbringend waren. Er fertigte Übersetzungsarbeiten der verschiedensten Art; bald war es Montesquieu’s eben erscheinender „Esprit des lois“, bald waren es die englischen Zeitromane „Grandison“ und „Pamela“, welche er für deutsche Leser bearbeitete, bald die schwedisch geschriebenen Abhandlungen der Stockholmer Akademie, Lulof’s physikalische Erdbeschreibung aus dem Holländischen, bald wieder Hellot, „Art de la teinture des laines“ etc. und Robert Smith, „Complete system of opticks“. Am interessantesten waren für Kästner in dieser Beziehung unzweifelhaft die schwedischen Abhandlungen, an deren Übersetzung er sich 1748 „mit einer mittelmäßigen Grammatik und einem noch weniger als mittelmäßigen Wörterbuche“ machte, ohne eine Ahnung von der Sprache zu besitzen, welche er erst während der Arbeit selbst kennenlernte.
Wieder zumindest bemerkenswert; zu dieser Zeit war Kästner übrigens schon Professor … Später wurde er (unter anderem) der Leiter der Göttinger Sternwarte, und als solchem lag ihm seine kurze „Erzählung“ sicherlich nicht fern:
Den Sternturm musst ein Jüngling oft besteigen,
Sein Lehrer wollt ihm da die Venus zeigen,
Und das bei hellem Sonnenschein.
Als beide manchen Weg sich nun umsonst gemacht,
Fand, ohne Lehrer, ganz allein,
Der Jüngling sie bei Nacht.
Das ist wesentlich eher ein Epigramm als eine wirkliche Erzählung; so wie Kästner ein guter Epigrammatiker war, aber in längeren Gedichten seine Leser durch zu große Einförmigkeit eher ermüdete …
Trotzdem, ein schönes, kleines Stück, auch im madrigalischen Wechsel der Verslängen und der Reime; wobei die Reimanordnung uns heute fremder vorkommen mag als Kästner und seinen Zeitgenossen. Aber davon ein andermal!