Erzählformen: Die alkäische Strophe (21)

Die deutschen Nachbildungen antiker Strophen reimen sich genausowenig, wie es ihre Vorbilder getan haben; und das aus gutem Grund. Rudolf von Gottschall hat trotzdem viele derartige Versuche unternommen, zum Beispiel in dieser selbstbezüglichen Strophe:

 

O zage vor dem kühneren Schwunge nicht,
Der alten Brauches sklavische Fessel bricht,
Der um die Regel, die uns bindet,
Zartere Blüten des Reimes windet.

 

Und zugegeben, das klingt gar nicht einmal so schlecht.  Trotzdem ist es keine alkäische Strophe mehr, denn das, was sie ausmacht – die beiden kleinen Bögen in V1 und dann V2, an die sich der große, durch V3 und V4 schwingende Bogen anschließt – wird hier durch die Reime zerstört, die, wie üblich, die Aufmerksamkeit weg von der Bewegung auf den Klang lenken, aber eben auch die Bewegung an sich zerstören. Ich denke, für die alkäische Strophe gilt, was für Hexameter, Distichon und all die anderen „alten“ Maße auch gilt: Ohne Reim ist sie besser dran.

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