Wer heute an die Brunnenstrophe denkt, hat vermutlich sofort irgendein Gedicht der Romantik im Ohr. Aber die Strophe ist viel älter, sowohl in ihrer weltlichen als auch ihrer geistigen Verwendung! Vor mehr als sechshundert Jahren gab es zum Beispiel schon ein Lied, dass man auch heute noch in der Adventszeit hören kann, diesen Anfangs:
Es kommt ein Schiff, geladen
Bis an sein’ höchsten Bord,
Trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
Des Vaters ewigs Wort.
Gerade einmal um die 60 Jahre alt ist dagegen „Ich steh‘ in Gottes Hand“ von Ruth Schaumann, entnommen dem 1947 bei Kerle erschienenen Band „Klage und Trost“:
Tod wirft vom Himmel nieder
Blitz, Flammen, Erz und Rauch,
Und singt er seine Lieder,
Ich selber singe auch:
Gegrüßt, der mich erschaffen,
Mich flirrend Körnlein Sand,
Und steht die Welt in Waffen,
Ich steh‘ in Gottes Hand.
Gegrüßt sein Sohn in Leiden,
Sein Geist in Liebe frei!
Und soll ich heut‘ verscheiden,
Steht mir dreieinig bei!
Dann mag dem Tod gelingen
Sein Wurf durch Angst und Pein,
Ich selber werde singen
Und sterbend lebend sein.
Diese Verse klingen „alt“ auf gleich mehrere Arten – S1 V2 zu Beispiel wirkt mir ziemlich barock (und ja: auch zu Gryphius‘ und Opitz‘ Zeiten war die Brunnenstrophe in Gebrauch); aber so ganz das „Heute“ zu verleugnen, das gelingt ihnen eben auch nicht?!