Erzählformen: Das Distichon (100)

Eines der „Ventianischen Epigramme“ Johann Wolfgang Goethes geht so:

 

Ist denn so groß das Geheimnis, was Gott und der Mensch und die Welt sei?
Nein! Doch niemand hört’s gerne; da bleibt es geheim.

 

– Und das ist sicher schon „einfach so“ ein gutes Verspaar; aber ein kurzer Blick auf die Form lohnt trotzdem!

Im Pentameter fällt sicher die erste Hälfte auf, die mit zwei zweisilbigen Füßen besetzt ist, der deutlich seltensten Möglichkeit; und die Zäsur (nach „hört’s“), über die der Satz hier einfach hinweggeht.  Im Hexameter, bei dem, auch das eine der seltener genutzten Möglichkeiten, alle Einheiten dreisilbig sind, ist die Versbewegung nach der Zäsur ein genaueres Hinhören wert – abgeteilt nicht nach metrischen, sondern nach Sinneinheiten:

Ist denn so groß das Geheimnis, || was Gott | und der Mensch | und die Welt sei?

Dieses ◡ — | ◡ ◡ — | ◡ ◡ — — (Ich glaube, das „sei“ ist hier schwer?!) hat eine nachdrückliche Kraft – ein langsames Losgehen, das schneller wird und Kraft gewinnt … Wie so viele andere Bruchstücke des Hexameters kann man auch dieses, beziehungsweise seine Bewegung, in eigenen Texten nutzen und damit schöne Wirkungen erzielen – einfach einmal versuchen!

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