Erzählverse: Der Hexameter (167)

Noch einmal zu den im vorletzten Eintrag erwähnten „Literarische Zustände und Zeitgenossen“ von Böttiger – da steht selbstredend auch manches über Verse drin. Unter „Den 25. Dezember 1796“ findet sich zum Beispiel „Goethe liest mir seinen Hermann und Dorothea“, ein langer Text, teils inhaltliche Zusammenfassung, teils Betrachtung und Urteil; über den Hexameter findet sich dort:

Der Gang des Hexameters in diesem Gedichte ist der rascheste Wechseltanz, den je eine nordische Sprache in griechischer Modulation einherschwebte. Wie verschieden von dem leichtsinnigen Hüpfen im „Reineke Fuchs“, und von dem pathetischen Gang in einigen Übersetzungen homerischer Hymnen. Man fühlt es, dass der Dichter bis auf das Silbenmaß selbst, in dem er sich bewegt, Schöpfer war, und sein wollte. Jeder Vers malt, und doch ist kein Gedanke an kindische Ziererei. Freilich, um alles zu verstehen, muss man den göttlichen Rhapsoden sein Gedicht selbst deklamieren hören.

Na, das ist doch einmal echte Begeisterung, wie sie sich auch in Böttigers Schlusssatz ausdrückt:

Wohl mir, die heutige Weihnachtsfreude war die genussreichste meines Lebens!

Aber, das lässt zumindest der folgende Eintrag vom 15. April 1797 vermuten, keine vollständige:

Ich habe diesen Abend die letzten fünf Gesänge von Hermann und Dorothea vom Meistersänger selbst vorlesen hören. Welch eine Welt von Handlung und Gefühl in welchem engen Raum und mit wie wenigen Mitteln?

Goethe fühlte, dass, sobald seine Dorothea auftrete, Hermann gewissermaßen nur zur zweiten Figur herabsinken müsse, und dass, je später sie auftritt, desto größer die Spannung der Hörer (Leser möchte ich bei einem Gedicht nicht sagen, das eigentlich nur durchs Ohr empfangen werden sollte) sein müsse.

Der Hexameter ist ein Vortragsvers – keine Frage; und hier eine Bestätigung mehr.

Aber um noch einige Verse anhängen zu können, hier Böttigers Anmerkung zum Schluss des achten Gesangs, und anschließend die entsprechenden Verse:

Dorothea tritt fehl und sinkt dem vorausgehenden Jüngling an die Brust. Aber er bekämpft sich, er bleibt starr und unbeweglich. Dadurch wird er Doroteens wert, die den Mut hatte, sich zum Dienen zu erniedrigen. Ein magischer Zug des Gedichts.

 

Aber sie, unkundig des Steigs und der roheren Stufen,
Fehlte tretend, es knackte der Fuß, sie drohte zu fallen.
Eilig streckte gewandt der sinnige Jüngling den Arm aus,
Hielt empor die Geliebte; sie sank ihm leis auf die Schulter,
Brust war gesenkt an Brust und Wang‘ an Wange. So stand er,
Starr wie ein Marmorbild, vom ernsten Willen gebändigt,
Drückte nicht fester sie an, er stemmte sich gegen die Schwere.
Und so fühlt‘ er die herrliche Last, die Wärme des Herzens
Und den Balsam des Atems, an seinen Lippen verhauchet,
Trug mit Mannesgefühl die Heldengröße des Weibes.

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