Vor dem Farbgericht

„Ich rufe nun als Zeugen auf:
Den frühen Wintermorgen!“
So spricht das Grau beim Farbgericht,
denn hier will es beweisen,
dass jede Farbe, Grün und Blau
und Rot und welche immer,
in ihm, dem Grau, enthalten ist.

Der Wintermorgen tritt herein,
und man muss anerkennen:
Obwohl die Pfannen auf dem Dach
eindeutig grau sind, schimmert
in ihnen doch ein Hauch von Rot;
Obwohl das Gras der Wiesen
eindeutig grau ist, liegt ein Hauch
von Grün auf allen Blättern;
Obwohl der Wellenschlag im Bach
eindeutig grau ist, ahnt man
in jedem Wirbel doch das Blau..

Die andern Farben, die das Grau
seit jeher tief verachten,
sind stumm, und mit gesenktem Haupt
erwarten sie das Urteil.

„Im Namen aller Farben, hört!“
so spricht der Richter endlich,
„Der Anspruch, den das Grau erhebt,
ist rechtens; Alle Farben,
sei’s Grün, sei’s Blau, sei’s Rot, sind Teil
des Graus! Und damit schließe
ich diese Sitzung. Vielen Dank.“

„Ich danke auch, Herr Richter,“
bemerkt das Grau, springt hastig auf
und eilt davon: Es nahen
der späte Wintermorgen und
der helle Schein der Sonne.

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