Erzählverse: Der iambische Dreiheber (8)

Als Elisabeth Kulmann 1825 mit nur 17 Jahren starb, verlor die deutschsprachige Dichtung ein großes Talent, auf jeden Fall aber eine gewaltige Sprachbegabung – zu diesem Zeitpunkt beherrschte Kulmann bereits elf Sprachen und hatte schon 100.000 Verse geschrieben! Der iambische Dreiheber war dabei eines ihrer liebsten Darstellungsmittel, in „Saphho“ klingt er zum Beispiel (ausschnittsweise) so:

 

O meiner schönen Jugend
Zu schnell entflohne Tage!
Wo ich, der Kunst nur lebend,
Die Zierde war der Feste,
Die Königin der Mähler;
Aus jedem frohen Reigen
Nur meine Lieder hörte;
Auf Blumen durch die Straßen
Beim Zuruf der Bewohner
Die Sängerin einherzog;
Und in den heil’gen Hainen,
Ja in der Götter Tempel
Mein Standbild ich erblickte,
Und Lesbos seinen Münzen
Der Götter Bild und meines
Vereint aufprägte! Sappho,
Des zarteren Geschlechtes
Gerechter Stolz und Sehnsucht
Der Jünglinge und Männer,
Die stets von meiner Jugend
Und meiner Lieder Reizen
Gleich stark gerührt, den Preis mir
Des Kampfes zuerkannten,
Selbst wenn Alcäus kämpfte,
Der König im Gesange!

 

Sichere, gute Verse! Ein wenig atemlos vielleicht, aber das ist ein Eindruck, der sich beim kurzen Dreiheber schnell einstellt, sollen denn mehrere Verse dieser Art einen längeren Satz aufnehmen?!

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