Die Wahl des Versmaßes

Otto Ludwig trug sich lange mit dem Plan, ein Nationalepos zu schreiben. 1860 notierte er sich in diesem Zusammenhang unter anderem einige Überlegungen zum Versmaß:

Schon die Wahl des Versmaßes ist so wesentlich und schwierig! Dann  noch mehr Punkte der Behandlung. Ob naiv oder eingestanden als Kunstgedicht? Am besten beides zugleich; das heißt, die eigentliche Handlung des Gedichts naiv gehalten, die Überblicke deutscher Geschichte und Entwicklung, Ermahnung, Warnung pp. mehr rhetorisch. Das führte schon zur Wahl einer Versart, in welcher beides zusammengeht. Das Ganze darf nichts eigentlich Gelehrtes, in irgendeiner Weise Ausschließliches erhalten, da es ein nationales Gedicht sein muss. Der Hexameter ist plastisch, aber nicht populär. Die achtzeilige Stanze – vielleicht auch die Terzine – bieten sich plastischen und musikalischen Wirkungen und sind zugleich, namentlich die Ottaverime, auch der Rhetorik günstig; die Majestät, in der solch ein Gedicht sich bewegen müsste, würde durch sie nichts weniger als erschwert. Nur wünschte man zu einem deutschen Nationalgedicht eine eigentlich deutsche Versart – wo dann freilich, wählte man auch die Nibelungenstrophe, jene rhetorischen Exkurse sich fremd und schwerfällig ausnehmen möchten. Und doch verbietet sich die rein naive, zu dem Maße stimmende Weise der Darstellung, nicht gerechnet, dass die Nibelungenstrophe wegen ihrer Kürze jene ideale Majestät, den weiten, reichen Faltenwurf, nicht erlauben und auf Dauer durch die zu häufige Wiederkehr langweilig eintönig werden müsste.

Am Ende ist aus dem Epos nichts geworden; aber welche Überlegungen einer längeren Versdichtung vorausgehen, und welchen Versmaßen welche Eigenschaften und Möglichkeiten zugeschrieben werden: Das ist immer wieder spannend zu lesen!

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