Erzählverse: Der Blankvers (120)

Joseph Seebers „Der ewige Jude“ ist eine etwas eigenartige Ahasver-Erzählung. Aber den Vers, den Seebers schreibt, kann man sich einmal anschauen – aus dem zehnten Gesang:

 

Der Herrscher war ins Heiligtum getreten.
Ein Meer von Wohllaut wogte durch die Hallen;
Süß schmeichelnd stieg der Töne süße Flut
Und legte sich um Herz und Sinn der Menge,
Die bald den ganzen weiten Raum erfüllte.
Zwölf goldne Stufen führten zu dem Hochsitz,
Auf dem der König, nah dem Heiligsten,
Sich niederließ; die fremden Fürsten traten,
Sich tief verbeugend, ihrem Herrn zur Seite
Nach Gunst und Rang; dem Juden aber ward
Der nächste Platz am Thron zu seiner Rechten,
Und stolzer funkelte das Aug‘ des Alten.
Der Sang verstummt, die vollen Orgeltöne
Durchrauschen noch wie Sturmesbraus den Tempel;
Doch leiser wird der Klang, wie sanftes Flüstern
Des lauen Abendwinds im Palmenhain,
Und bald entschlummert auch der letzte Ton.

 

Sehr sichere Verse?! Der Text als solches ist aber  verständlicher, hat man auch das Blankvers-Epos „Ahasver in Rom“ des 25 Jahre älteren Robert Hamerling  im Hinterkopf, das sicherlich die bedeutendere der beiden Dichtungen ist und daher auch hier vorgestellt zu werden lohnt: allerdings erst in einem der nächsten Einträge …

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