Erzählformen: Der Zweiheber (32)

Ernst Schulze hat eine Zeitlang ein Poetisches Tagebuch geführt; da kam es dann schon einmal vor, dass ein Gedicht nur ein Datum als Titel hatte!

 

Am 27. Oktober 1814

Ertönet, ihr Saiten,
In nächtlicher Ruh‘
Und führet von weiten
Die Träume mir zu!
Schon hör‘ ich sie schallen
Im schwellenden Klang;
Sie füllen die Hallen
Mit Liebesgesang
Und wiegen und tragen
Den sinkenden Mut
Durch stürmisches Zagen
Auf tönender Flut.

Die nimmer erklangen
Für Fürsten und Gold,
Jetzt sind sie gefangen
Um bitteren Sold
Und geben mit Freuden
Um kargen Gewinn
Und reichliche Leiden
Ihr Köstlichstes hin.
Doch trifft auch die Lieder
Manch finsterer Blick,
Stets kehren sie wieder
Zur Herrin zurück.

O könnt‘ ich’s ersingen,
Das goldene Ziel!
O könnt‘ ich’s erringen
Im Schlachtengewühl!
Vergebens begegnen
Sich Leier und Schwert;
Sie hält den Verwegnen,
Den Milden nicht wert.
Und gäb‘ ich für Liebe
Das Leben auch gern,
Stets bleibt er mir trübe,
Der freundliche Stern.

 

Un noch zwei solcher zwölfzeiligen Strophen (die aber auch als drei vierzeilige stehen könnten) mehr. Auf eine Art wirkliche Tagebuchlyrik, auf der formalen Seite aber mit Schwung in der Bewegung und sinnvoll gestalteter Klangwirkung, also schon ein Beispiel, was man mit Zweihebern anstellen kann!

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