Erzählformen: Die Stanze (8)

Goethes eigener Versuch in „erotischen Stanzen“ ist „Das Tagebuch“, entstanden allerdings Jahrzehnte nach Heinses Stanzen. Drei der 24 Strophen – ein Reisender nächtigt notgedrungen in einem Gasthaus:

 

Nun setzt ich mich zu meiner Tasch‘ und Briefen
Und meines Tagebuchs Genauigkeiten,
Um so wie sonst, wenn alle Menschen schliefen,
Mir und der Trauten Freude zu bereiten;
Doch weiß ich nicht, die Tintenworte liefen
Nicht so wie sonst in alle Kleinigkeiten:
Das Mädchen kam, des Abendessens Bürde
Verteilte sie gewandt mit Gruß und Würde.

Sie geht und kommt; ich spreche, sie erwidert;
Mit jedem Wort erscheint sie mir geschmückter.
Und wie sie leicht mir nun das Huhn zergliedert,
Bewegend Hand und Arm, geschickt, geschickter –
Was auch das tolle Zeug in uns befiedert –
Genug ich bin verworrner, bin verrückter,
Den Stuhl umwerfend spring ich auf und fasse
Das schöne Kind; sie lispelt: „Lasse, lasse!

Die Muhme drunten lauscht, ein alter Drache,
Sie zählt bedächtig des Geschäfts Minute;
Sie denkt sich unten, was ich oben mache,
Bei jedem Zögern schwenkt sie frisch die Rute.
Doch schließe deine Türe nicht und wache,
So kommt die Mitternacht uns wohl zu Gute.“
Rasch meinem Arm entwindet sie die Glieder,
Und eilet fort und kommt nur dienend wieder;

 

Hier sind, näher am italienischen Original, alle Versausgänge weiblich im Unterschied zu Heises Stanzen! Gemeinsam haben die Werke der beiden Verfasser dagegen, dass ihre (literarischen) Zeitgenossen von derlei Inhalten nicht wirklich begeistert waren – Goethe das „Das Tagebuch“ erst gar nicht veröffentlicht, und später ist es in Ausgaben seiner Werke oft nicht oder nur verändert aufgenommen worden …

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