Die Uz-Strophe (20)

Die Zeit der Uz-Strophe fiel zusammen mit einem großen Interesse an Horaz; kein Wunder also, dass dessen Oden auch in die Uz-Strophe übertragen wurden! Hier die 23. Ode des ersten Buchs, im Original aus asklepiadeischen Strophen bestehend, in dieser Form, gestaltet von Nikolaus Dietrich Giseke:

Was fliehst du, Chloe, vor mir, gleich einem flüchtigen Rehe,
Das unwegsame Gebirge durchstreift,
Auf Wegen, die es nicht kennt, die bange Mutter zu suchen,
Und vor den friedlichen Büschen erschrickt?

So oft, vom Weste bewegt, die zarten Blätter nur rauschen,
So oft ein Eidechs die Stauden durchschlüpft:
So klopft sein furchtsames Herz, und seine zitternden Läufe
Fliehn schneller durch den gefürchteten Wald.

Und doch verfolg‘ ich dich nicht wie ein getulischer Löwe,
Der seine Beute blutgierig erwürgt.
Hör‘ auf, o Chloe, hör‘ auf, der Mutter länger zu folgen,
Und einen bessern Begleiter zu fliehn!

Das gefällt mir gut – von der Form her muss man allerdings nicht viel anmerken: Es sind drei sehr regelmäßig gebaute Uz-Strophen. Ich benutze diese Übertragung Gisekes daher nur als Gegenbild zu einer Übertragung von Christian Felix Weiße:

Du fliehst mich, Chloe! du fliehst gleich einem schüchternen Reh,
Das auf der unwegsamen Höh‘
Die scheue Mutter sucht:
Das kleinste Säuseln der Weste,
Das Rauschen der buschichten Äste
Jagt es in ewiger Flucht.

Es steht und schauert, wenn sich ein Blatt vom Winde bewegt,
Ein Strauch die weiche Seit‘ ihm schlägt,
Und fühlt nicht seinen Schmerz:
Es steht, es fliehet, steht wieder
Und schauet; ihm beben die Glieder,
Ihm klopft das ängstliche Herz.

Und doch verfolget dich nicht ein räubrisch reißendes Tier,
Nicht Löw‘ und Tiger folgen dir,
Die dich zu würgen glühn.
Hör auf mit schüchternen Blicken,
Reif für der Umarmung Entzücken,
Stets nach der Mutter zu fliehn.

Das ist eine höchst eigenartige Schweifreimstrophe:

◡ —, ◡ —, ◡ ◡ — | ◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —
◡ —, ◡ —, ◡ —, ◡ —
◡ —, ◡ —, ◡ —
◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —, ◡
◡ —, ◡ ◡ —, ◡ ◡ —, ◡
◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —

Wer sie laut liest, stellt fest: Sie ist klug gebaut, die Art, wie die Bewegung sich staut und wieder befreit, ist sehr ansprechend! Ich stelle sie hier aber vor allem ein, weil sie zeigt, welcher Art der „Versraum Uz-Strophe“ ist – V1 ist ein männlich-betont schließender großer Uz, V4, V5, V6 sind „Uz-Halbverse“! Dazu treten noch zwei rein jambische Verse, die aber ohnehin mit „Uz-Versen“ beliebig mischbar sind.

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