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Ungereimtes

Der im letzten Beitrag vorgestellte (und dort wunderlicherweise gereimt anzutreffende) „große Asklepiadeus“ ist, will man ihn schreiben, eine ziemliche Vers-Herausforderung. Aussehen tut er so:

— ◡ / — ◡ ◡ — / — ◡ ◡ — / — ◡ ◡ — / ◡ —

Ein altes und wie üblich ungereimtes Beispiel ist Johann Heinrich Voß‘ „Tobacksode“, deren erste vier Verse so lauten:

 

Rolf, beim schäumenden Kelch, oder beim Trank, den die Levante bräunt,
Lass von Knastergewölk unsere Stirn bläulich umwirbelt sein!
Zeus, im Opfergeduft, lächelte nie froher, als wir, umdampft
Von Virginischem Kraut, welches dein Wink, holder Tobackus, schuf!

 

Unzweifelhaft derselbe Vers, doch ganz anderen Klangs – einige Verse aus Josef Weinhebers „Vom Adel des Körpers“:

 

Mit dem Mut, der es wagt, Blume zu sein, lebt da die Jungfrau ihr
ungenütztes Gechlecht, lebt, der es weiß, seinen gewagten Tod
jener Jüngling; es denkt Welten der Mann. Aber es haben den
höchsten Rang, der nicht welkt: Mütter. Gefasst tragen, erhalten sie
was sich formt, durch die Zeit: Ahnengewiss, leibhaft, gegliedert, stet.

 

Gut, da liegen bald 200 Jahre dazwischen. Aber auch hier: spannend zu hören, welche Möglichkeiten dieser Vers bietet.

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Zusammengereimt

Versuche, antike Verse und Strophenformen zu reimen, gab und gibt es männiglich, ungeachtet der meist wenig überzeugenden Ergebnisse. In „Heut noch sonnegeküsst“ reimt Isolde Kurz zwei unwahrscheinliche Kandidaten miteinander: Einen großen und einen kleinen Asklepiadeus! Eines dieser Verspaare:

 

— ◡ / — ◡ ◡ — / — ◡ ◡ — / — ◡ ◡ — / ◡ —
— ◡ / — ◡ ◡ — / — ◡ ◡ — / ◡ —

Hohes Tagesgestirn, flamme mich an, segne mir Seel‘ und Leib!
Wenn der Abend sich neigt, fleh‘ ich kein banges Bleib.

 

Das ist … gewöhnungsbedürftig. Aber immer wieder spannend zu sehen, was alles versucht worden ist!

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Erzählformen: Die Brunnenstrophe (25)

Im Oktober 1832 besprach die „Allgemeine Literaturzeitung“ den Band „Lyrische Gedichte“ von F.J. Micus. „Der Verfasser dieser Gedichte lebt der Überzeugung, ‚dass es gut seye (sic), das Edle und Schöne, welches Jeder in sich fühlt, der Welt zum Mitgenusse vorzulegen‘, und darum tritt er mit dieser Sammlung hervor“ heißt es da, und dann: „Wir müssen gestehen, dass wir bei der Flut gedruckter Reimereien mit diesem Grundsatz nicht einverstanden sein können.“ Das lässt einen Verriss erwarten, aber die Ablehnung des Bandes wird dann doch respektvoll und nachvollziehbar begründet. Schaut man sich dann die Sammlung an (sie steht im Netz), findet sich vielerlei … entwaffnendes:

 

Hier wandl‘ ich so gemütlich,
Bald denkend viel, bald nichts;
Hier tu ich mir so gütlich,
Froh linder Luft und Lichts.

 

Da muss jede Kritik verstummen. Eigentlich. Vielleicht könnte man noch, leise flüsternd, der Brunnenstrophe eine gewisse Mitverantwortung attestieren …

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Erzählformen: Das Distichon (112)

Nach den doch recht in die breite geschriebenen Distichen des gestrigen Beitrags hier, als Ausgleich sozusagen, ein Epigramm: Ein einzelnes, die Dinge genau auf den Punkt bringendes Distichon von Freidrich Hebbel.

 

Prophezeiung

„Deine Freunde sind jung, es wird dir mit ihnen ergehen
Wie mit den Früchten dem Baum: reifen sie, fallen sie ab!“

 

Ach je … Aber manchmal treffen Prophezeiungen ja auch nicht ein. (Ich frage mich das seit Jahren – hat es hier mit den „Anführungszeichen“  eine besondere Bewandnis?!)

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Erzählformen: Das Distichon (111)

Einer der Dichter, die mir immer ein Rätsel bleiben werden, ist Ludwig Theobul Kosegarten. Sein „An Rosa“ fängt so an:

 

Eine Rose blühte. Sie war die schönste des Gartens;
Ihre schwellende Brust funkelt‘ im perlenden Tau;
Ihre Blätter erglühten im Wiederscheine des Frührots;
Ihr vollströmender Duft lockte den Wand’rer herbei.
Jünglinge liebten die Holde; des Tales blühendste Töchter
Hingen zärtlich an ihr, staunten errötend sie an –
Aber sie welkt‘; ihr Purpur verblich, ihr atmender Duftkelch
Lechzte versiegt; verdorrt trieben die Blätter umher.

 

Der erste Satz aus drei Worttrochäen ist der untauglichste Weg überhaupt, einen Hexameter zu beginnen; und wofür genau waren jetzt überhapt diese vier Distichen gut – was beginnen sie?

 

Frühlinge wurden geboren, und Frühlinge starben; der Rose
Uranfänglicher Stoff schwebet‘ im Äther umher.
Und es beseelte des Ewigen Hauch den wandelnden Urstoff,
Hauchete Stimm‘ und Gesang, Leben und Lieben ihm ein.
Eine Nachtigall ward er, die Liederreichste des Tales.
Durch die Weiden am Bach flötet ihr schmelzendes Lied.
Liebende wandelten horchend am Bach, und inniger schlang sich,
Wenn die Sängerin schlug, an den Verlobten die Braut.
Einen Frühling lang sang sie. Es welkte der freundliche Frühling,
Und der Sängerin Lied tönte nicht ferner am Bach.
Mit den sinkenden Blättern entsank sie dem Aste des Strauches
Und zum Äther gerückt wallte der flüchtige Staub.

 

Ah … ja. Gut. Dieses wissend: wie geht es weiter?!

 

Frühlinge wurden geboren, und Frühlinge welkten. Noch immer
Wallte der Sängerin Staub in dem ätherischen Raum.

 

Anscheinend gar nicht – oder doch, jetzt:

 

Wieder beseelte des Ewigen Odem den wandelnden Urstoff,
Hauchte lebendigen Hauch, edlere Schönheit ihm ein.
Und er reift‘ empor zu einer unsterblichen Seele
Leuchtender Hülle, zu dir, edele Rosa, empor.

 

Wir nähern uns – wem oder was, ist noch unklar. Wer ist denn, erst einmal,  diese Rosa?!

 

Sieh‘, ein holdes Mädchen entblühte der Asche, mit jeder
Herzgewinnenden Huld, jeglicher Güte begabt.
Traut, wie Schatten, demütig, wie Veilchen, milde, wie Lenztau,
Rein, wie der Lilie Kelch, süß, wie Narzissengedüft.

 

… Eine Ansammlung von Klischees, augenscheinlich. Ich breche hier ab, der Text geht aber noch ein gutes Stück weiter, was ich weiß, weil ich ihn gelesen habe; aber warum bloß? Dieser Kosegarten ist mir ein Rätsel …

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Erzählformen: Der Zweiheber (30)

„Das Lämpchen“ von Isolde Kurz ist ein Text bescheidener Länge, schlicht in seiner Bewegung, eingängig in seiner Bildlichkeit:

 

Ein Lämpchen wandert
In unsrem Stamme
Mit heller Flamme
Von Hand zu Hand.
Dem Vater reicht‘ es
An langer Leiter
Der Ahn herunter.
Wie brannt‘ es munter,
Als ich’s empfing,
Und möchte weiter
Im ewigen Wandern
Zu all den andern,
Die unten stehn.
Es strahlt und funkelt
Noch unverdunkelt,
Und dennoch weiß ich:
In meinen Händen
Musst du verenden,
Du schönes Licht.

 

Sicher kein „lyrisches Schwergewicht“, aber vielleicht gerade darum gut aufgehoben in den jedem Drama abholden Zweihebern?!

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Priamel

Jeder, den der Hafer sticht,
Jeder, der die Lanze bricht,
Jeder, der im Gelde schwimmt,
Ahnt, dass man’s nicht wörtlich nimmt.