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Go: Die alten Meister (41)

Die alten Meister sinnen
Ein Ende aus; es bleibt
Die Frage: Wie beginnen?

 

Aussinnen, sagt der Online-Grimm, heißt so viel wie excogitare, fingere, invenire, ausdenken: eine List, Kunst, ein Mittel aussinnen; Treibt euch der Müßiggang, Phantome auszusinnen — sägt Holz! (Friedrich Wilhelm Gotter)

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Erzählverse: Der trochäische Fünfheber (13)

Wie schlicht darf ein Gedicht sein, inhaltlich? Das trotzdem wirken will?! Ziemlich schlicht; das lässt zumindest Otto Julius Bierbaums „Freundliche Version“ vermuten:

 

Nicht im Schlafe hab‘ ich das geträumt,
Hell am Tage sah ichs schön vor mir:
Eine Wiese voller Margeritten;
Tief ein weißes Haus in grünen Büschen;
Götterbilder leuchten aus der Laube.
Und ich geh mit Einer, die mich lieb hat,
Ruhigen Gemütes in die Kühle
Dieses weißen Hauses, in den Frieden,
Der voll Schönheit wartet, dass wir kommen.

 

Und auch wenn das auf keinen Fall ein sonderlich gutes Gedicht ist – eine gewisse Wirksamkeit ist da! Und eine Besonderheit beim verwendeten Vers auch: Ungereimte trochäische Fünfheber schließen fast imer unbetont, also weiblich; hier aber haben die ersten beiden, einleitenden Verse männliche, also betonte Endungen, was sie wirksam von der eigentlichen „Vision“ abhebt.

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Erzählverse: Der Hexameter (130)

Heute bin ich wieder einmal hierüber gestolpert: Nachrichten aus der ideologischen Antike

Das kann man sich durchaus ganz ansehen, in Hinblick auf den Hexameter ist der Ausschnitt von 1:46:14 bis 2:07:47 das Entscheidene – Alexander Kluge und Durs Grünbein unterhalten sich über Bertolt Brechts Hexameter-Versifizierung des „Kommunistischen Manifests“. Und auch wenn da einiges gesagt wird, was mir ein wenig eigenartig klingt, und auch wenn ich die Art, wie mancher Vers vorgetragen wird, nicht wirklich nachvollziehen kann: Das lohnt sich schon!

Der Anfang des Manifests ist übrigens durchaus ein Vers, nur kein Hexameter, sondern ein Paroemiacus: Ein Gespenst geht um in Europa, ◡ ◡ — — — ◡ ◡ — ◡.

Das war sicher keine Absicht, hätte aber Absicht sein können; denn Karl Marx hat selbst Verse geschrieben, und keine ganz üblen!

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Ohne Titel

Heimliche Finger
Zupfen den Schornstein,
Puppenhaus, deinen!
Schornstein vom Dach dir,
Drücken den Schornstein
Fest auf des Sofas
Schwellendes Polster;
Friedlich entkringeln
Kringel von Rauch sich
– Aufwärts, ihr Kringel! –
Wieder dem Schornstein,
Lange noch nährt sie,
Schwellend! das Polster.

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Wortvergnügt (3)

Wie schon erwähnt: Um zu neuen Wörtern zu kommen, nehme man etwas altes, bekanntes und gebrauche es auf neue Weise. Das geschieht im Laufe der Sprachentwicklung  auch un-willentlich immer wieder so; etwa wenn zu dem bekannten Ausdruck „sich satt essen“ ein entsprechendes „sich satt trinken“ gebildet wird, dann „sich satt sehen“, was sicher auch als gänzlich gewöhnlich empfunden wird; aber auch noch viele andere Verbindungen:

„Ich weiß nicht, was ich darum gäbe, wenn ich mich noch itzt alle Wochen einmal in Gesellschaft so vieler rechtschaffner Leute satt essen, satt lachen und satt zanken könnte.“

Ein Satz von Gotthold Ephraim Lessing. Mir am stärksten im Gedächtnis geblieben ist aber, was Matthias Claudius 1772 in seine Familienbibel geschrieben hat, nachdem sein erster, zwei Monate zu früh geborener Sohn kurz nach der Geburt gestorben war:

„Er lebte nur wenige Stunden und ging, nachdem er sich hier sattgeweint hatte, wieder heim.“

Was fängt man damit an? Außer, dass es einen Weg aufzeigt, zu leicht ungewöhnlichen, aber wirkungsvollen Ausdrücken zu gelangen, meine ich …

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Erzählverse: Der trochäische Vierheber (50)

Das Symbol des Menschen

„Zeig mir“, sprach zu mir ein Dämon,
„zeig mir das Symbol des Menschen,
und ich will dich ziehen lassen.“
Ich darauf, mir meine schwarzen
Stiefel von den Zehen ziehend,
sprach: „Dies, Dämon, ist des Menschen
schauerlich Symbol; ein Fuß aus
grobem Leder, nicht Natur mehr,
doch auch noch nicht Geist geworden;
eine Wanderform vom Tierfuß
zu Merkurs geflügelter Sohle.“
Als ein Bildnis des Gelächters
stand ich da, ein neuer Heiliger.
Doch der Dämon, unbestimmbar
seufzend, bückte sich und schrieb mit
seinem Finger auf die Erde.

 

– Schreibt Christian Morgenstern. Seine trochäischen Vierheber haben immer einen besonderen Klang, und es lohnt sich sehr, nachzuprüfen, wie der zustande kommt; nicht nur durch zum Beispiel doppelt besetzte Senkungen, besonders auffällig am Versschluss („Heiliger“); sondern auch durch Gleichklänge, Wortwiederholungen, dem Verhältnis von Vers und Satz … „Ich darauf, mir meine schwarzen / Stiefel von den Zehen ziehend, / sprach:“ – höchst wirkunsgvoll!

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Wortvergnügt (2)

An Übersetzungen der Odyssee herrscht nun wahrlich kein Mangel; von daher lohnt vielleicht der Blick auf einige weitere Vers-Wiedergaben, die die in (1) begonnene Reihe „seufzerreich“ – „seufzererregend“ – „jammerbringend“ fortsetzen?!

Köchergehäus – drin staken gar viel der surrenden Schäfte

– So Rudolf Alexander Schröder. Nun ist die Frage, wie man die homerischen Beiwörter übersetzt, schon eine grundsätzliche; aber das „surrend“ wirkt ziemlich schwach, fast wie eine Verlegenheitslösung.

Der die vielen Geschosse enthielt, die Boten des Jammers.

Das ist nun Friedrich Georg Jünger, der das Beiwort ganz aufgibt und durch einen Zusatz ersetzt.

Samt dem Köcher mit Pfeilen, die Seufzer erregen, und viele

… waren darinnen. Anton Weiher geht noch einen Schritt weiter und landet beim Relativsatz. Warum nicht – auch das ist eine Möglichkeit, eine Eigenschaft auszudrücken; und immerhin sind so die Seufzer wieder da!

– So könnte das noch ein Weilchen weitergehen. Aber ich glaube, vieles ist auch durch diese sechs Beispiele schon klar geworden?! Einmal lohnt es sich immer, mehr als eine Möglichkeit zu versuchen, will man eine bestimmte Sache ausdrücken;  vor allem im Vers! Da ist dann vom Einzelwort „seufzerreich“ bis zum vollständigen Satz „die Seufzer erregen“ alles dabei, und mal passt das eine, mal das andere.

„Seufzerreich“ ist dabei sicher die Möglichkeit, die den Text am meisten strafft, dem Vers die größtmögliche Festigkeit verleiht. Und es hat auch eine Eigenschaft, die zum Beispiel dem „seufzererregend“ abgeht; das könnte man in „Seufzer erregend“ auflösen, was sicher einen leicht anderen Ausdruck hat, aber zum Beispiel im Hexameter keinen Unterschied machte; wohingegen „seufzerreich“ nur in ein Präpositionalgefüge auflösbar ist, „an Seufzern reich“. Was dann wieder die Wahl zwischen Verknappung und Lockerung, Vereinzelung und Einbindung, Sinnlichkeit und Logik eröffnet … Möglichkeiten über Möglichkeiten!

Wobei die für den Vers nutzbringendste sicher das Zusammenziehen ist – der Schritt zum einzelnen, für sich wirkenden, überraschenden, schönen Wort.

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Ohne Titel

ist wer daheim?
frag ich am weg
ins schneckenhaus.

dumpf hallts. dies haus
ist niemands heim –
ich nehms, geh weg,

komm an, beweg
handhin (ein haus),
handher (kein heim):

mein heimweghaus.