Schemel spielt auf der Laute, er singt in der Tiefe des Waldes;
Schatten ist alles hier, und die Stimme verklingt in die Schatten …
Schemel spielt und singt, und er weiß: von den zahllosen Wipfeln,
Einer davon, ein Ast in einem der zahllosen Wipfel
Schwankt ein wenig und zittert, da auf ihm die Grübeleule,
Angelockt von des Narren die Schatten umschmeichelndem Singen,
Niedergelassen sich hat, und sie lauscht, es verlangt sie zu wissen,
Jahre hat sie durchgrübelt, bewegungslose, voll Schatten:
Mensch, was du bist, und sie lauscht auf das Dunkel, das heute Gesang ist.
Ganz frei
Mir klingt immer noch Tieck im Ohr mit seinen nachlässigen Versen … Seine „Reisegedichte eines Kranken“ lassen erkennen, wie es wirkt, wenn er alle Fesseln abstreift:
Der Rheinfall
Wer mag hier sprechen, zeichnen, malen, dichten?
Das Wort verstummt, die Hand erlahmt.
Vernimm mit Ohr und Augen, Geist,
Was hier geschieht, Natur in kühnster Sprache
Dir donnernd will enthüllen,
So bist du glücklich, ruhig und gesättigt,
Und fragst nicht, was es sei und dir bedeute.
Was unaussprechlich ist, sei dir das höchste.
Wenn der Naturgeist also zu dir spricht,
So horche gläubig, andachtsvoll:
Wozu dein Stammeln?
Gut: Fast alle Fesseln. Denn iambische Verse sind es noch immer, wenn auch unterschiedlich in Hebungszahl und Ausgang; und ungereimt. Nun kann man über den Nährwert des Inhalts streiten; bezüglich der Form scheint mir, sie fügt sich dem Tieckschen Denken in feiner Weise?!
Wer mag, kann zum Vergleich ja noch einmal bei den Rheinfall-Gedichten im Hexameter vorbeischauen.
Winter 1740
Goss man Wasser herab aus hochgelegenen Fenstern,
War, was zur Erde kam, Wasser nicht mehr; sondern Eis.
Johann Peter Hebel, Der böse Winter: „Der Hausfreund aber erinnert sich jetzt wieder, was die Alten von dem Winter des Jahres 1740 erzählt und geschrieben haben (…) Wenn man langsam Wasser von einem hohen Fenster herabgoss, es kam kein Wasser auf den Boden, sondern Eis.“
Erzählformen: Das Reimpaar (17)
Reimpaare aus iambischen Vierhebern sind heute auch oft die Form, die Gelegenheitsgedichten gegeben wird. Dann klingen die Text schon mal leicht unordentlich und nachlässig – und sind das auch! Was aber, wenn solche Reimpaare so klingen bei Dichtern, die nachweislich mit Sprache umzugehen wissen?!
Das klassische Beispiel dürfte da Ludwig Tieck sein, dessen Gedichte ja schon von seinen Zeitgenossen als sehr nachlässig beurteilt wurden.
Am Anfang von Tiecks „Phantasus“ sitzt ein Ich, von allerlei Unbill geplagt, „betrübt“ im Zimmer.
So saß ich still in mich gebückt,
Den Kopf in meine Hand gedrückt,
Als ich, so sinnend, es vernahm,
Dass jemand an die Türe kam;
Es klopfte, und ich rief: „Herein!“
Da öffnet schnell ein Händelein,
So weiß wie Baumesblüt‘, herfür
Trat dann ein Knäblein in die Tür,
Das Haupt gekränzt mit jungen Rosen,
Die eben aus den Knospen losen,
Wie Rosenglut die Lippen hold,
Das krause Haar ein funkelnd Gold,
Die Augen dunkel, violbraun,
Der Leib gar lieblich anzuschaun.
Er trat vor mich und tät sich neigen
Und sprach alsdann nach kurzem Schweigen:
„Wie kömmt’s, mein lieber kranker Freund,
Dass Ihr hier sitzt, da Sonne scheint?“
„losen“ = „los, frei werden“, „herauskommen“. Ist das jetzt also nachlässig geschrieben?! Hm. Das macht sich ja am allerehesten daran fest, dass sich Füllsel-Verse einschleichen; der erste Vers des Reimpaars sagt inhaltlich etwas aus, aber kein Reimwort bietet sich an, die Sache im zweiten Vers weiterzuführen; also wird der Vers einfach gefüllt mit einem Zusatz, und erst das nächste Reimpaar nimmt die Handlung wieder auf.
Davon ist nichts zu bemerken bei Tieck?! Nur das „Händelein“, klingt, heutzutage erst Recht, gewöhnungsbedürftig; das wird dann einem „Knäblein“ zugeordnet, was, je nach Sichtweise, die Sache rechtfertigt – oder noch schlimmer macht!
Wenn man Tiecks Text liest, klingt so manches eigenartig. Man merkt aber auch, es hat seinen eigenen Ton, der nicht wackelt und nicht schwankt, und es erzählt geradeheraus und von daher: So kann man schreiben, wenn man mag. Oder man konnte es; heut sollten auch Reimpaartexte wohl etwas anders klingen …
Eine Begegnung im Park (9)
„Eine Sache haben wir vergessen“, sagte Heinrich, als er zusammen mit Dr. Sotz das Markt-Cafe verließ und auf den Marktplatz hinaustrat, wo die Bauern und Händler eben ihre Stände abbauten.
„Ja?“
„Dieses seltsam stoffliche Licht … Die Wolke wurde, als sie sich auflöste, vom Wind in Richtung Stadtzentrum getrieben; glauben Sie, davon ist etwas hier angekommen und bemerkt worden?“
„Bemerkt worden eher nicht“, antwortete Dr. Sotz; „angekommen wahrscheinlich schon, nur eben aufgelöst, sprich: verdünnt. Vielleicht tragen die Menschen hier davon etwas auf der Haut, oder haben es mit der Luft eingeatmet … Tragen sie doch mal was aus der ‚Frühlingsfeier‘ vor!“
„Aus der ‚Frühlingsfeier‘?! Ah, verstehe … Da ein Strom des Lichts rauscht!“
„Genau!“ Dr. Sotz lächelte. „Machen Sie!“
Und so stellte sich Heinrich mitten auf den Marktplatz und trug die ersten Verse der Frühlingsfeier vor:
„Nicht in den Ozean der Welten alle
Will ich mich stürzen! schweben nicht,
Wo die ersten Erschaffnen, die Jubelchöre der Söhne des Lichts,
Anbeten, tief anbeten! und in Entzückung vergehn!“
Die Menschen um ihn herum sahen Heinrich zwar verwirrt an, aber gleichzeitig lächelten sie, verträumten Blicks, ganz, als würde ihnen etwas lange vergessenes wieder einfallen.
„Tja, ich denke, das zählt als Beweis: Der ‚Lichtstoff‘ ist anwesend und wirksam, andernfalls wären Sie lauthals ausgelacht worden! Jetzt gehen wir noch einen Apfel suchen mit einem Wurm drin!“
„Mit einer Apfelwickler-Raupe, bitte!“, verbesserte Heinrich.
„Mit einem Wurm“, bekräftigte Dr. Sotz, „noch genauer: mit einem Würmchen!“
Da ging Heinrich ein Licht auf, und als sie an einem der letzten noch verbliebenen Stände einen vielversprechend aussehenden Apfel gefunden hatten, nahm er ihn in die Hand, warf sich in Positur und trug noch einmal aus der ‚Frühlingsfeier‘ vor:
„Aber du Frühlingswürmchen,
Das grünlichgolden neben mir spielt,
Du lebst; und bist vielleicht
Ach nicht unsterblich!“
Auch Dr. Sotz zitierte einen Vers – „Auch das Würmchen mit Golde bedeckt, merk auf!“ -, und als er und Heinrich sich dann ganz nah zum Apfel beugten, erklang aus dem Loch im Apfel tatsächlich ein leises, feines Stimmchen: „Schlaflied.“
Dr. Sotz lachte entzückt auf, verabschiedete sich von Heinrich, erwarb beim Standbesitzer den Apfel und ging fröhlich pfeifend nach Hause, den Kopf schon voll mit neuen Plänen sonder Zahl.
Erzählverse: Der iambische Vierheber (2)
„Ungereimt und gereiht“, das war bezüglich des iambischen Vierhebers die Vorgabe im ersten Teil. „Ungereimt“ ist nicht verhandelbar; „gereiht“ schon, denn ohne Reim wirken auch Strophen gänzlich anders als mit Reim!
Ein Beispiel dafür ist „Das Rosenband“ von Friedrich Gottlieb Klopstock:
Im Frühlingsschatten fand ich sie;
Da band ich sie mit Rosenbändern:
Sie fühlt‘ es nicht, und schlummerte.
Ich sah sie an; mein Leben hing
Mit diesem Blick‘ an ihrem Leben:
Ich fühlt‘ es wohl, und wusst‘ es nicht.
Doch lispelt‘ ich ihr sprachlos zu,
Und rauschte mit den Rosenbändern:
Da wachte sie vom Schlummer auf.
Sie sah mich an; ihr Leben hing
Mit diesem Blick an meinem Leben,
Und um uns ward’s Elysium.
Die verwendete Strophe ist diese:
x X / x X / x X / x X
x X / x X / x X / x X / x
x X / x X / x X / x X
Eine gliedernde, ordnende Wirkung geht von ihr aber kaum aus?! Vielleicht auch, weil innerhalb der einzelnen Strophen viele tiefe Einschnitte wirken, meist am Ende der Verse. Erhellend ist hier der Vortrag, ich verweise auf diese beiden Sprecher:
Das zerfällt alles sehr, vor allem bei Stavenhagen?! Es lassen sich mit kleiner Mühe noch mehr Fassungen finden; auch vertont ist „Das Rosenband“ mehrere Male worden, zum Beispiel von Zelter, Schubert und Strauss. Da reinzuhören lohnt durchaus!
Schon seltsam: Klopstock war so gar kein Feund von iambischen Versen; aber dieses Gedicht aus iambischen Vierhebern ist eines seiner bekanntesten. Solche Streiche spielt einem die Nachwelt! Aber was will man machen, es ist einfach ein guter Text; ein gutes Gedicht.
Go: Die alten Meister (27)
Der alten Meister Thema
Ist die Befreiung von
Jedwedem starren Schema.
Bücher zum Vers (66)
Andrea Geier / Jochen Strobel (Hrsg.): Deutsche Lyrik in 30 Beispielen.
Meint: „Von den Anfängen bis zur Gegenwart“, also von Andreas Gryphius / „Menschliches Elende“ bis Durs Grünbein / „Biologischer Walzer“. Dabei bekommt jeder der von unterschiedlichen Verfassern vorgestellten dreißig Texte (was auch meint: dreißig Dichtern) um die zehn Seiten Raum, was ja schon für eine gewisse Ausführlichkeit reicht.
Die Texte selbst sind eine bunte Mischung von sehr bekanntem – „John Maynard“ von Fontane – und eher unbekanntem – „An Gerstenberg“ von Gleim. Auch die Herangehensweisen sind vielfältig. Da sollte eigentlich für jeden etwas dabei sein … In jedem Fall ein Band, in den man hineinschauen kann!
Erschienen 2011 bei Fink / UTB.
Ohne Titel
Wonach der Sinn mir steht?
Nach einem Honigbrot – süß, klebrig,
Im Sommer eine Art von Fliegentod;
Doch jetzt ist Winter, und mir steht
Der Sinn nach einem Honigbrot.