Erzählverse: Der iambische Trimeter (4)
Die letzten beiden Beiträge haben sich mit der „Innengliederung“ des Trimeters beschäftigt, und ich möchte später auch noch einmal auf diesen sehr wichtigen Punkt zurückkommen; jetzt soll es aber um die Möglichkeiten gehen, die dem Trimeter zur Verfügung stehen, um das strenge und versübergreifende Alternieren aufzulockern!
An den Anfang stelle ich dabei eine Erklärung des Versnamens „Trimeter“. Das ist eigentlich nicht die Bezeichnung des deutschen, sondern die des griechischen Verses, also die des antiken Vorbilds.
Der setzte sich zusammen aus drei („Tri-„) Grundeinheiten („-meter“) der Form „v — v —“ (mit „—“ = „lange Silbe“ und „v“ = kurze Silbe; antike Verse ordneten sich nicht nach der Betonungstärke der Silben, sondern nach ihrer Länge). Der Vers sieht also so aus:
v — v — / v — v — / v — v —
Innerhalb dieser Grundordnung hatte nun der griechische Trimeter die Abwechslung schaffende Möglichkeit, den ersten Iambus jedes Versdrittels, also den ersten, dritten und fünften Iambus jedes Verses, durch einen „Spondäus“ zu ersetzen; ein Austausch von „v —“ gegen „— —“.
Das ist auch für den Vers, um den es hier eigentlich geht, den deutschen Trimeter, wichtig! Denn die ersten deutschen Trimeter-Texte waren ja Übersetzungen antiker Trimeter-Texte, und viele Übersetzer haben versucht, diese Dreiteiligkeit und damit auch die Möglichkeit, Spondäen zu setzen, ins Deutsche zu übertragen. Als dann später eigenständige deutsche Trimeter geschrieben wurden, gab es drei Ansichten:
– Der antike Vers muss so genau wie möglich nachgebildet werden; die Dreiteilung ist zu beachten, Spondäen sind nur im ersten, dritten und fünften Fuß möglich, sollten aber regelmäßig vorkommen.
– Spondäen sind ein schönes Mittel der Auflockerung, aber die Dreiteilung ist dem Deutschen nicht gemäß; Deutsche Trimeter sind schlicht sechshebige Iamben, und wo genau ein Spondäus auftritt, ist gleichgültig; er sollte sich dabei inhaltlich begründen lassen!
– Griechisch ist Griechisch, Deutsch ist Deutsch; alle Bestandteile des griechischen Verses, die eine direkte Entsprechung im Deutschen haben, werden übernommen, für alles andere muss eine deutsche Entsprechung gefunden werden – oder es muss wegfallen. Das Deutsche hat keine Spondäen, also muss der deutsche Trimeter ohne sie auskommen.
Eigentlich gibt es also mehr als einen „deutschen Trimeter“; wenn man einige davon gelesen hat, kann man auch ganz gut zuordnen, welcher „Denkschule“ der Verfasser angehört.
August von Platen war öfter als nicht Mitglied der ersten Gruppe. Die folgenden fünf Trimeter spricht der „Wirt“ am Anfang des fünften Aktes des Platenschen Lustspiels „Die verhängnisvolle Gabel“:
Verdächtig kommt mir diese fremde Lady vor,
Die nie den Schleier lüftet und so wenig spricht.
Reich mag sie sein, nach allem, was der Diener sagt,
Steinreich; doch eine Fledermaus an Hässlichkeit,
Wenn nicht was Fürchterlichres noch dahinter steckt.
Das „Steinreich“ am Anfang des vierten Verses wäre einer dieser „Spondäen“, der Versuch eines deutschen „— —“ im ersten Versfuß. Und auch ein gelungener Versuch, finde ich!
Das „Reich mag sie sein“ aus V3 ist dagegen eher ein Auflockerungsmittel aus den neueren Sprachen, eine versetzte Betonung: „Reich mag“ als „— —“ zu lesen, scheint mir nicht möglich, und statt „Reich mag / sie sein„, „x X / x X“, liest hier sicherlich fast jeder „Reich mag / sie sein„, „X x / x X“?!
Das wäre dann aber schon die Art Auflockerung, mit der sich die nächsten Beiträge beschäftigen sollen. In diesem wollte ich lediglich auf den „Spondäus“ hinweisen, und darauf, dass dieses Merkmal des griechischen Verses von vielen Verfassern im Deutschen nachgebildet worden ist; mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Ich werde daher in den weiteren Beiträgen immer mal wieder auf solche Spondäen hinweisen!
Das Königreich von Sede (9)
Das neue Jahr beginnt erst; scharf weht, kalt der Wind.
Beim ersten Dämmern sitzt des Königs alter Narr,
Sitzt Schemel also, denn sein Schlaf ist kurz und leicht:
Hoch oben auf dem Nordturm, still in sich versenkt.
Kaum tönt die Laute, während Schemel tonlos singt –
Der Frühling streute Blumen aus
Mit blütentrunkner Hand,
Der Winter schlich ihm hinterher,
Zertrat, was er nur fand,
Ging lachend fort zum Nebelhaus –
Die Wiesen stehen leer
„Und trotzdem wird der Frühling kommen.“ – Kanapee,
Der alte König, längst verdammt zu kurzem Schlaf
Auch er: tritt neben seinen Narren. Der schaut auf –
„Der Frühling kommt bestimmt, mein König; doch für wen?“
– Und lässt die Laute wieder tönen, kaum, und singt.
Schüttel-Prosimetrum
Als die ersten Brandpfeile in die hölzernen Wälle seiner Festung einschlugen, reimte sich der König sofort zusammen, was los war: Sein Bruder probte den Aufstand! Jedoch waren die Brände – der freiwilligen Feuerwehr sei Dank! – bald unter Kontrolle, und von oben herab rief der König,
die Hand voll Stolz erhoben:
„Bleib standhaft, Holz! Zerstoben
ist schon sein Traum, verschenkt
der Thron, im Schaum ertränkt!“
Dem Bruder aber blieb nichts, als ohnmächtig die Faust gegen das Bollwerk zu schütteln.
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (10)
Der Vierheber hat, das dürften die bisherigen Beispiele gezeigt haben, eine enge Verbindung mit der Geschichtenerzählerei; Selbst wenn ein „Ich“ vorkommt, geht es weniger um seine Welterfahrung – sein Leiden an ihr, Glück, Liebe, Tod, alles ausgesprochen im Gedicht: Fehlanzeige.
Die folgenden beiden Gedichte stammen von Ricarda Huch, ich entnehme sie dem fünften Band ihrer „Gesammelten Werke“, erschienen 1971 bei Kiepenheuer & Witsch; „Nächtliche Meldung“ findet sich dort auf Seite 70, „Der Nebenbuhler“ auf den Seiten 82-84.
Inhaltlich sind sie eine seltsame Mischung. Immer noch ein Erzählen, aber eben auch ein Berichten über die eigene Befindlichkeiten?!
Nächtliche Meldung
Wachte auf früh vor dem Tage,
Zwischen Mitternacht und Morgen.
Was betörte meinen Schlummer,
Mir vom Auge zu entweichen?
Einen Schleier vor den Augen,
Einen Schleier vor der Seele
Fühl‘ ich, kann mich nicht besinnen.
Da die Schleier nun zerrissen,
Hör ich eines Hundes Bellen,
Hör ihn wimmern laut und kläglich,
Echo ist das nächt’ge Schweigen.
Hündlein, Kauztier, Leichenkünder,
Strich ein Geist an dir vorüber?
Seele eines jüngst Gestorbnen?
Wessen Tod willst du mir melden?
Schwebt‘ er sanft mit leichtem Fluge,
Wie ein Vogel aus dem Käfig,
Hündlein, war es meine Mutter.
Irrt‘ er zitternd auf und nieder,
Wie im Winde Kerzen flackern,
Hündlein, war es mein Geliebter.
Oft noch wird er dir erscheinen,
Wie ein Hauch aus bangen Seufzern,
Wie ein Duft von Blut und Tränen,
Bis in einer Nacht ich selber,
Hündlein, dir vorüberschwebe,
In das stille Land zu schweben.
Mir scheint inzwischen, will man als Verfasser mit diesem Vers einen längeren Text gestalten, so ist dafür vor allem eins vonnöten: Anschaulichkeit. Nun ists Huchs Text nicht übermäßig lang, und anschaulich ist er nicht zuletzt durch die vielen Vergleiche sicher auch; trotzdem mischt sich für mich auch ein Gefühl der Leere ein, als fehlte etwas?! Nicht, dass es dem Gedicht wirklich schadet; aber es ist da.
(Kurzer formaler Zwischenruf: „Hündlein, Kauztier, Leichenkünder“ ist der einzige Vers in beiden Texten, bei dem Wörter der Art „X x“ die Versfüße der Art „X x “ decken; eine Aufzählung. Hatten wir ja schon!)
Der Nebenbuhler
In des Glückes Wonnemonden,
Als wir beide Hand in Hand noch
Durch das frohe Leben sprangen,
Hast du oft zu mir gesprochen,
Wenn dein Haupt an meiner Brust lag:
„Könnt ich doch auf diesem Kissen,
Diesem weichen, vielgeliebten,
Immer wann ich wollte ruhen.
Doch mir ahnt, mich wird das Schicksal
Weit von dieser Stätte bannen,
Nichts mir lassend als im Auge
Wasser und im Herzen Heimweh.
Aber kühlend, wie der Westwind
Weht an heißen Sommertagen,
Wird dein Schwur mein Leid erquicken,
Den du oftmals mir geschworen:
Nie an dieser teuren Stätte,
Wo dein Liebling selig ruhte,
Einen andren Freund zu hegen,
Denn ich müsste daran sterben.“
Oftmals hab ich’s dir geschworen,
Wie ein Wiegenlied, ein altes,
Das man nimmer satt zu hören
wird, dir’s heimlich zugeflüstert.
Sieh, was hab ich nun begangen?
Mir am Busen liegt ein Liebchen,
Schwarz sein Köpfchen wie das deine,
Du mein fernes, doch ein andres,
Schmiegt und drängt sich immer dichter,
Und mit glänzend schönen Augen
Schaut es forschend in die meinen,
Und mir scheint, es macht nicht Miene,
Von dem Platze je zu weichen.
Ach, was sagt nun mein Geliebter?
„Deinen Schwur hast du gebrochen,
Mir, der deiner Seele traute,
Wie ein Kind traut seinem Engel,
Wie ein Moslim seinem Sterne.
Wandle du nun deine Bahnen;
Nicht bei Nacht und nicht bei Tage
Wirst du deinen Gatten treffen,
Dem du Leib und Seele teiltest.“
Höre auf, du Vielgeliebter,
Höre auf mir so zu fluchen.
Nimmer hab ich dich verraten,
Nicht im Traum und nicht im Wachen;
Liebe hielt ich dir und Treue,
Will sie immerdar dir halten.
Der an meinem Busen schlummert
Ist ein kleines junges Kätzchen,
Schwarz von Pelz, und seine Augen
Grün und glänzend wie Smaragden.
Fühl ich’s warm an meinem Halse,
Schließ ich oftmals meine Augen,
Träume von den Wonnemonden,
Wo dein Haupt an meiner Brust lag,
Und wir beide Hand in Hand noch
Wie zwei gute Kameraden
Über Berg und Tal des Lebens
Wanderten bei Sturm und Sonne.
Das ist immer noch eine Art von Erzählen; aber der Eindruck der Leere hat sich verstärkt? Es gibt weniger, und unauffälligere Vergleiche als in der „Meldung“; und der Text um einiges länger. Ich habe den Text gern gelesen (Gedichte mit einer Katze drin sind immer lesenswert), aber ich kann mir gut vorstellen, dass hier mancher die Geduld verliert?! Oder genügt die Schnelligkeit, mit der man durch die Zeilen fliegt, in Zusammenhang mit der Art, wie Huch die Sprache zwar nie besonders, aber doch immer abwechslungsreich in die Verse legt, doch, den Leser bei der Stange zu halten?
Hm … Wenn es da eine Trennlinie gibt, scheint mir, die „Meldung“ ist noch auf der richtigen Seite; der „Nebenbuhler“ aber knapp auf der falschen.
Ich kann es aber nicht wirklich sagen, das sind zwei eigenartige Texte, von denen ich nicht recht weiß, wo ich sie hinstecken soll.
Das Königreich von Sede (8)
Was bleibt
Prinz Klappstuhl lauscht bedrückt dem Klang der Kirchturmuhr
Tief drunten in der Stadt: Zwölf Schläge, Mitternacht!
Lang hat er auf dem Turm sein schweres Los bedacht;
Nun zeigt sich ihm ein Geist. Die Schattenkreatur
Geht stumm von Haus zu Haus, sucht einen Liebesschwur,
Der heut gebrochen ward, sucht Glück, das vor der Macht
Des Schicksals nicht bestand, will in verbrauchte Pracht
Sich hüllen kurze Zeit, will ein paar Stunden nur
Durch einen alten Traum, den sie als letzte träumt,
Sich fühlen wie ein Mensch, in dem das heiße Blut
Der Liebe kräftig fließt und leidenschaftlich schäumt.
Der Prinz schaut lange zu. Dann greift er resolut
Ins Herz sich, nimmt ihr Bild, tritt trotzig vor und säumt
Nicht mehr, er wirft, verschenkt den letzten Funken Glut.
Bücher zum Vers (3)
Markus Ciupke: Des Geklimpers vielverworrner Töne Rausch.
Die metrische Gestaltung in Goethes „Faust“.
Der „Faust“ ist eine so gewaltige Ansammlung von verschiedenen Vers- und Strophenformen, die noch dazu von Goethe auf herausragende Weise genutzt werden: Dass dieses Buch eigentlich schon eine vollständige Einführung in die deutsche Metrik ist.
Ciupke versucht in seinem 300-seitigen Werk, dieser verwirrenden Vielfalt auf die Schliche zu kommen, zu ordnen, zu bestimmen, nach Sinn und Zweck zu fragen; und das macht er eigentlich sehr gut, so dass spätestens die Verbindung von Dichtung und Sekundärwerk wirklich eine Metrik-Einführung erster Güte darstellt. An manchen Stellen mag man versucht sein, Ciupke zu hinterfragen oder ihm gar zu widersprechen (ich jedenfalls war es), aber insgesamt ist das sicher ein empfehlenswerter Band – und wenn er nur dazu verleitet, den „Faust“ mal wieder in die Hand zu nehmen.
Erschienen 1994 bei Wallstein.
Bücher zum Vers (2)
Alfred Behrmann: Einführung in den neueren deutschen Vers. Von Luther bis zur Gegenwart.
Die Ausgabe, die hier vor mir liegt, ist von 1989; erschienen in Stuttgart, bei Metzler.
Der Band gründet auf einer vom Verfasser gehaltenen Vorlesung. Nach einem den Grundlagen gewidmeten Kapitel geht es mit „Vor und nach Optiz“ los, danach folgen die Kapitel „Der fünffüßige Jambus“, „Das Sonett“, „Andere romanische und weitere Strophen“, „Der reimlose Vers. Die Ode“, „Hexameter und elegisches Distichon“, „Der freie Rhythmus“, „Der freie Vers“, „Was ist ein Vers?“, „Wie spricht man Verse?“; sowie ein zusammenfassender „Rückblick“. Mir gefällt der Band sehr gut, er bringt eine Menge unter, ohne dabei gedrängt zu wirken, und gerade Kapitel wie „Wie spricht man Verse?“ gehen auf Dinge ein, die viel zu oft zu kurz kommen beim Nachdenken über Dichtung. Von daher: Empfehlenswert!
Ohne Titel
Wer nur findet, was er sucht,
Ist vom Schicksalsgott verflucht –
Wer benötigt, was er findet,
Weiß, wie man ihn überwindet!