Was sich bedingt

Es rufen, meckerstimmig! tausend Dinge,
Die erst beachtet, dann getan sein wollen.
Verdammt! Ich habe keine Lust, sie sollen
Zum Teufel gehen – denke ich und wringe

Den Lappen aus, und stehe auf und bringe
Die Essensreste raus (die Frühlingsrollen
Verdarben mir), und weiter so, den vollen
Plan abarbeitend … Wenn’s doch anders ginge!

Und wären’s bloß die alten Heinzelmännchen,
Die kommen und sich um die Dinge kümmern,
Einkaufen, kochen, Katzen füttern, putzen …

Da säß ich vor dem Haus mit einem Kännchen
Des feinsten Tees, und hört‘, wie in den Zimmern
Geschafft wird, ohne mich; doch mir zum Nutzen!

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (39)

Der Ziegelschlag

Weit gedehnte, öde Strecken,
Schmutzig-gelbe Wassertümpel;
Einsam ragt der Schlot des Ofens
Über morsche Bretterschuppen.

Fahle Menschen, wie geknetet
Aus dem fahlen Lehm des Bodens,
Drin sie wühlen, treiben lautlos
Jahr um Jahr ihr ödes Handwerk.

Füllen und entleeren Truhen,
Mischen, treten, streichen, schlichten,
So des Backsteins ewig gleiche
Form verdrossen wiederholend.

Träge ziehn vorbei die Stunden;
Aufgelöst in Staub und Hitze,
Oder rings in Kot zerfließend,
Scheint die Welt auch hier zu Ende.

 

Denkt man den ungereimten, gereihten trochäischen Vierheber als den üblichen Fall und die strophische Anordnung von ungereimten trochäischen Vierhebern als die Abweichung davon, das Besondere; dann stellt sich die Frage nach dem Grund der Abweichung.

In Ferdinand von Saars „Der Ziegelschlag“ kommt diese Begründung aus dem Inhalt: „So des Backsteins ewig gleiche / Form verdrossen wiederholend“, das lässt sich ja ganz leicht umdenken auf die Strophe aus vier ungereimten trochäischen Vierhebern!

Eine gelungene Formwahl also.

Erzählformen: Das Reimpaar (18)

Reimpaare lassen sich selbstverständlich auch nutzen, um Strophen zu bauen. Wilhelm Jordans „Laurentiustränen“ sind ein Beispiel – die erste Strophe:

 

Mein Auge trank die stille Pracht
Der heiligen Laurentiusnacht.
Da schießt und rennts, da blitzt und brennts
Im Ruheglanz des Firmaments,
Als spalt‘ ein Stern zu Spänen.
Die lichte Kielspur ihrer Trift
Verschlingt sich mir zu Runenschrift,
Und Urgeheimes offenbart
Die scharenweise Niederfahrt
Der Himmelsfeuertränen.

 

Des heiligen Laurentius wird am 10. August gedacht, die „Laurentiustränen“ sind also die Perseiden, ein in der ersten Augusthälfte viele Sternschnuppen hervorbringender Meteorstorm.

Jordans Gedicht hat elf Strophen, alle gebaut wie die erste: Zwei Reimpaare aus männlich schließenden, iambischen Vierhebern, denen ein weiblich schließender Dreiheber folgt; dann wieder zwei vierhebige Reimpaare, und schließlich wieder ein mit dem ersten reimender Dreiheber. Die Strophenmitte weist immer einen tiefen Sinneinschnitt auf.

Insgesamt eine schöne, runde Form; und ein gutes Beispiel dafür, wie sich einzelne Bausteine zu beachtenswerten Strophen zusammensetzen lassen?!

Ohne Titel

Wer Verse schreibt, der kann die Gegenstände falten,
Zusammen hier, hier ent, was meint: im Wort gestalten.

Erzählverse: Der iambische Vierheber (3)

„Das Feuer im Walde. Eine Idylle“ stammt von Ludwig Hölty. Es ist ein einigermaßen seltsamer Text, der oft unfertig und roh wirkt; aber er zeigt doch ganz gut, wie sich mit dem ungereimten, gereihten iambischen Vierheber erzählen lässt. Der dabei auch schon mal erzwungen wird; aber Verkürzungen wie „Feur“ statt „Feuer“ klangen damals weniger fremd als sie es heute tun …

 

Zween Knaben liefen durch den Hain,
Und lasen Eichenreiser auf,
Und türmten sich ein Hirtenfeur.
Sie freuten sich der schönen Glut,
Die, wie ein helles Osterfeur,
Gen Himmel flog, und setzten sich
Auf einen alten Weidenstumpf.
Sie schwatzten dies, und schwatzten das,
Vom Feuermann, und Ohnekopf,
Vom Amtmann, der im Dorfe spukt,
Und mit der Feuerkette klirrt,
Weil er nach Ansehn sprach und Geld,
Wie’s liebe Vieh die Bauren schund,
Und niemals in die Kirche kam.
Sie schwatzten dies, und schwatzten das,
Vom sel’gen Pfarrer Habermann,
Der noch den Nussbaum pflanzen tät,
Von dem sie manche schöne Nuss
Herabgeworfen, als sie noch
Zur Pfarre gingen, manche Nuss!
Sie segneten den guten Mann
In seiner kühlen Gruft dafür,
Und knackten jede schöne Nuss
Noch einmal in Gedanken auf.
Da rauscht das dürre Laub empor,
Und, sieh, ein alter Kriegesknecht
Wankt durch den Eichenwald daher,
Sagt guten Abend, wärmet sich,
Und setzt sich auf den Weidenstumpf.
Wer bist du, guter, alter Mann?
Ich bin ein preußischer Soldat,
Der, in der Schlacht bei Kunnersdorf,
Das Bein verlor, und, leider Gotts!
Vor fremden Türen betteln muss.
Da ging es scharf, mein liebes Kind!
Da sauseten die Kugeln uns,
Wie tausend Teufel, um den Kopf.
Dort flog ein Arm, und dort ein Bein.
Wir patschelten durch lauter Blut,
Und Ross und Reiter lagen da,
Wie Kraut und Rüben. Lieber Gott!
Sprach Hans, und sahe Töffeln an.
Mein Seel! ich werde kein Soldat,
Und wandre lieber hintern Pflug.
Da sing ich mir die Arbeit leicht,
Und spring und tanze wie ein Hirsch,
Und lege, wann der Abend kommt,
Mich hintern Ofen auf die Bank.
Doch kommt der Schelmfranzos zurück,
Der uns die besten Hühner stahl,
Und unser Heu und Korn dazu,
Dann nehm‘ ich einen roten Rock,
Und auf den Buckel mein Gewehr,
Dann komm nur her, du Schelmfranzos!
Das Feuer sank, und wölkte kaum
Noch Dampf empor; sie gingen fort.

Das Königreich von Sede (65)

Am frühen Morgen kommt Schemel
Zum Graben, wo des Narrs Ankunft
Der Frösche froh Gequak feiert.
Er packt die Laute aus; stimmt sie;
Und singt der alten Zeit Wunder.

Wie der Gesang da wächst, wächst auch
Die Stille, strömt und fließt, langsam,
Aus Noten und Gesang über
In Ding und Frosch, und weiß: alles,
Und lehrt: alles.

Erzählverse: Der Blankvers (56)

Wie ein Vers klingt; das hängt auch immer von dem Zweck ab, zu dem er eingesetzt wird. Man vergleiche zum Beispiel die erzählenden Blankverse Gottfried Kellers aus (53) mit den folgenden desselben Verfassers, entnommen dem „Prolog zur Schillerfeier in Bern 1859“.

 

Zur höchsten Freiheit führt allein die Schönheit;

 

heißt es da zum Beispiel höchst sentenzenhaft; und im Anschluss, einige Verse weiter:

 

Sie klärt des Priesters Wort zur reinen Liebe,
Sie hellt dem Ratsmann trefflich den Verstand,
Sie macht des Kriegers Waffen scharf und glänzend;
Dem Werkmann adelt sie die harte Arbeit,
Erhebt den Kaufmann über die Gefahr,
Sein Herz in seinen Schätzen zu begraben,
Und schützt, wie vor dem Rost des rohen Geizes,
Vor weichlicher Entnervung seinen Sinn;
Und selbst der Leidenschaft, die nimmer stirbt,
Nimmt sie das Gift, das zum Verderben führt.
Um alle windet sie ein Zauberband,
Das gleich uns macht im edlen Sinn des Wortes
Wertvoll und fähig zu der Freiheit Zwecken.

 

Das klingt reichlich hochtrabend, aber es klingt nicht falsch; nicht im Zusammenhang einer Schillerfeier des 19. Jahrhunderts … Schiller! Wieder etwas weiter:

 

Die Schönheit ist’s, die Friedrich Schiller lehrt
Und die mit eig’nen Tagen er gelebt,
Die jugendlich, ein schäumender Alpenstrom,
Die erste Kraft in jähem Felssprung übt,
Dann aber sich vertieft im klaren See
Und auferstehend aus der Purpurnacht
Dem Meer der Ewigkeit und der Vollendung
Kraftvoll mit breiter Flut entgegenzieht!

Ist uns ein Stern und Führer nun vonnöten,
Des Schönen Schule stattlich aufzubau’n:
Er ist der Mann!

 

Laut gelesen offenbaren diese Verse einen großen Schwung!?

Ein Preislied wie dieses zu schreiben: ist keine einfache Sache. Aber der Versuch ist allemal lohnend, denn da liegen Ausdrucksmöglichkeiten verborgen, die sonst nirgendswo zu finden sind …

Ohne Titel

So wie das Pferd der Erde, dem Himmel der Adler bestimmt ist,
Wie der Delphin dem Meer: so der Verzweiflung der Mensch.