Bücher zum Vers (76)

Karl Ludwig Schneider:
Klopstock und die Erneuerung der deutschen Dichtersprache im 18. Jahrhundert

Ein nicht allzu dicker Band von 140 Seinen, erschienen 1963 bei Winter, der einen Inhalt verhandelt, nicht nur geschichtlich von Bedeutung!

„Klopstock selbst ist ein Geschenk, die einzige Gestalt größten Maßes als Mensch der Sprache zwischen Luther und Goethe.“ Dieses Wort findet sich in Ernst Kletts  beim Verserzähler schon kurz angesprochenen  Vortrag Über den deutschen Hexameter und mag als Beispiel dienen für die Wertschätzung, die Friedrich Gottlieb Klopstock genießt, obwohl er heute nur noch wenig gelesen wird.

Grund für diese Wertschätzung ist die von Schneider behandelte „Erneuerung der deutschen Dichtersprache“, die Klopstock als Einzelner geleistet hat und die zum Beispiel die Werke Goethes, Schillers, Hölderlins erst möglich gemacht hat.

Dazu gehören „Die Abgrenzung der poetischen von der prosaischen Sprachgestaltung“ , so das Dritte Kapitel Schneiders, was ja eine bis heute immer neu zu entscheidende Frage ist:  Welche Schnittmengen haben die poetische Sprache, die Sprache der Prosa und die Alltagssprache miteinander?!

Klopstocks Antworten darauf stellt zum Beispiel das vierte Kapitel vor, „Das Stilprinzip der Kürze“, in dem Klopstocks Gebrauch von Simplex und Kompositum, seine Neuerungen in der Wortbildung, sein Gebrauch der Partizipien, sein Bestreben zur Intensivierung durch das Fortlassen von Artikeln, Präpositionen und Konjunktionen und anderes mehr erklärt wird. Äußerst lesenswert!

Ein von Schneider besprochenes Beispiel ist Klopstocks Hang, das „und“ zu vermeiden:

Sieh, er krümmte sich, wand vergebens sich, nun noch zu leugnen,
Dass Gott sei! Er brüllet‘ es, heulet‘ es; rang nach Vernichtung,
Winselte, raste nach ihr, griff aus mit der Sterbenden bangem
Furchtbaren Greifen nach ihr, und war! …

– Messias, 16. Gesang, Verse 693-696. Schneider:

Die konsequente Ellipse der Konjunktion in den Zeilen 693-695 ermöglicht es, sie in der letzten Zeile nun in einer Weise zur Anwendung zu bringen, die aus diesem bedeutungsarmen Wort ein Stilistikum von unvergleichlicher Wirkung macht, das den höchsten Grad der Verzweiflung ausdrückt. Man mag aus solchen Meistergriffen ersehen, dass Klopstock nie mechanisch ausließ. Dadurch, dass er die Konjunktion „und“ mied, wo immer es angängig war, machte er sich das Wort frei für wichtige Ausdrucksfunktionen.

Erzählverse: Der iambische Vierheber (5)

Gelegenheitsgedichte bekommen nicht immer die Aufmerksamkeit, die ihnen zusteht – von den richtigen Verfassern geschrieben, haben sie ihren ganz eigenen Wert! Der folgende Ausschnitt stammt aus einem „Brautgedichtchen“, wie der Idyllendichter Franz Xaver Bronner selbst das Werklein nennt der Empfängerin (die Tochter des berühmten Idyllendichters Salomon Gessner) gegenüber.

 

Oft, wenn sein Herz vom süßen Drang,
Sich mitzuteilen, überfloss,
Und rings in öder Wildnis doch
Kein mitempfindend Wesen traf;
Oft, wenn geschäftig seine Hand
Aus Weiden kleine Reusen flocht,
Und wenn er einsam seinen Kahn
Auf raschen Fluten treiben ließ,
Beim Angeln und beim Netzeziehn,
Beim Hahnengruß und Eulenruf,
Schwang auf der Sehnsucht Fittichen
Sein Geist sich zu Palämons Haus
In seiner Lieben Arme hin –
Wie ein gefangnes Vögelchen
Begierig sich ins Freie schwingt,
Bis es des Fadens Fessel fühlt,
An dem ein loser Knab‘ es hält.

 

Leicht hingetupfte Verse, doch nicht ohne Reiz! Ungereimte iambische Verse formen die Sprache noch weniger als ungereimte trochäische Verse, was hier ganz gut hörbar wird?!

Statt Herden hütenden Hirten, wie sie gewöhnlich die Idylle bevölkern, setzt Bronner nicht nur hier, sondern auch sonst auf Fischer (was in den Zeiten, in denen die Idylle wichtiger genommen wurde als heute, tatsächlich Gegenstand von Diskussionen war).

Das Gedicht ist recht lang; wer mag, kann es im Hinterzimmer des Verserzählers finden unter seinem Titel Der Getröstete, wo in der in Versform gehaltenen Vorrede des Verfassers schon manches klar wird. Ich gehe aber sicher noch einmal auf dieses Stück ein!

Erzählverse: Der Blankvers (63)

Leopold Schefer ist einer der vielen zu Lebzeiten berühmten, heute aber gut und gründlich vergessenen Dichter des 19. Jahrhunderts. Und das völlig zu Recht! Vor allem die eher didaktischen Gedichte, mit denen er bekannt geworden ist, kann man heute nicht mehr lesen. Tut man es aber doch, stellt sich schnell ein eigenartiges Gefühl ein – als steckte man den Kopf in eine Blechtonne, gegen die unaufhörlich getreten wird:

 

Das Sonnenstäubchen

Die Sonne zwar ist größer, aber nicht
Erstaunenswerter als – ein Sonnenstäubchen!
Der Mensch ist kleiner, aber nicht geringer
An Geist und Liebe als der Geist des Alls,
Und Gott und Mensch sind nur aus einem Stoff,
Dem einen Element im ganzen All.
Aus diesem Wort nimm dir Gesetz und Leben!

 

Ein unüblich kurzes, aber bezeichnendes Beispiel aus Schefers „Vigilien“ – manchmal ist ein Gedicht eben auch ein Holzhammer … Aber auch hier tut der Blankvers unbewegt und ungerührt seinen Dienst und ordet auch diesen Inhalt unauffällig, aber spürbar. Ein wunderbares Maß!

Ohne Titel

Worte krümeln aus der Hand mir,
Doch! Wie trocken Brot, zerrieben,
Nicht wie Sand und nicht wie Wasser
Rieselt aus der Hand und rinnt –
Worte krümeln aus der Hand, ihr
Tauben, hört ihr’s? Seht ihr’s? Kommt!

Erzählformen: Die alkäische Strophe (17)

Zu Friedrich Gottlieb Klopstock gehört auf mehr als eine Weise der Begriff „Erhabenheit“. Viele seiner Texte beruhen auf ihm, auch viele seiner Oden, alkäischer oder anderer Art. In „Unterricht“ driftet diese Erhabenheit allerdings ins Komische ab – es geht dabei um das Zureiten einer Stute!

 

Iduna Hensler grüßet, mein Stolberg, dich,
Und sagt dir leichthinspielendes Ganges, hoch
Den Kopf, die Mähn‘ im Fluge: Dass sie,
Bei der entscheuchenden Kerze Schimmer,

In diesem stets noch starrenden Winter, (Ach
Zum ersten Male wagt‘ ich, die mürrischen
Ostwinde meidend, nicht, der Eisbahn
Tönende Flügel mir anzulegen!)

Durch mich zum Aufsitz stehen gelernt; durch mich
Gelernet kurzen Zephyrgalopp, verlernt,
Doch nicht zu sehr! den allzu frohen,
Launigen Schwung in die Läng‘ und Breite!

 

– Das sind die ersten drei der insgesamt sechs Strophen. Die Erhabenheit von Sprache und Form ist hör- und spürbar; der Inhalt hält sich aber so gar nicht daran, und diese Unverhältnis ist tatsächlich komisch?! Aber wie auch immer: Die Art, wie Klopstock hier die Sätze durch die Strophen führt, ist schon etwas besonderes, und da ein Auge und vor allem ein Ohr drauf zu haben, lohnt in jedem Fall.

Erzählverse: Der Hexameter (105)

Die kleinste im Vers vorkommende Sinneinheit besteht aus einer einzelnen schweren Silbe. Klopstock sagte statt „Sinneinheit“ „Wortfuß“ und schrieb über den einsilbigen Fuß (sein Beispiel war „Wut“, ):

Er gibt dem Wort, woraus er besteht, besonders wenn er gut gestellt ist, viel Bedeutung: zugleich erregt er, welches hier das Wichtigste ist, die Aufmerksamkeit dadurch nicht wenig, dass er, wenn ich so sagen darf, den Heerzug der mannigfaltigen metrischen Bewegungen Halt machen lässt.

Mir fällt, bezogen auf den Hexameter, als Beispiel ein Vers aus der Ilias-Übersetzung von Johann Heinrich Voss ein (10,482):

 

Sprach’s; doch jenen beseelte mit Mut Zeus‘ Tochter Athene.

 

Teilt man den Vers nach Sinneinheiten ab, sieht er so aus:

/ v v v v / v — / — — v / v — v

– Wobei „Sprach’s“ der einsilbige Wortfuß wäre.  Eine Silbe, die von ihrem Wesen her auch sehr gut einen eigenen Wortfuß bilden kann: Sie ist Sinnsilbe, hat einen langen Selbstlaut und ist mit Mitlauten reich gesegnet! Ob das Wort allerdings durch seine Rolle als Wortfuß „viel Bedeutung“ hat, scheint fraglich; dafür ist es doch zu sehr ständig wiederkehrende Formel.

In Eduard Mörikes „Märchen vom sichern Mann“ lauten die Verse 18 und 19 so:

 

Laut im Gespräch mit sich selbst, und oft ingrimmigen Herzens
Weg- und Meilenzeiger mit einem gemessenen Tritt knickt

 

– Vers 18, wieder die Gliederung nach Wortfüßen:

/ v v / v v / v — / — — v v — v

Auch hier ein einsilbiger Wortfuß zu Versbeginn, der hier dann wirklich das laut heraushebt?! Außerdem dient er als „Umschalter“, hinter ihm wechselt der Vers in eine steigende Bewegung (was er sonst meist erst nach der Zäsur macht), gut zu hören an den drei steigenden Wortfüßen, die auf den Einsilber folgen!

Ob bei V19 auch ein Einsilber am Anfang steht? Eher nicht. Aber da lohnt der Blick ans Versende. Die Frage, ob dort als letzte Silbe überhaupt ein Einsilber stehen darf, wurde von den Theoretikern des Verses unterschiedlich beantwortet. Wenn er stehen darf, hat er oft auch einige Wirkung:

v v v / v v / v — v v — / —

– Es ist nicht leicht, hier Sinn-, und das meint ja auch: Sprecheinheiten abzuteilen?! Aber außer Frage steht, die letzte Silbe hat eine deutliche Wirkung; sie wird herausgehoben und als besonders gekennzeichnet!

Hier könnten jetzt noch weitere Beispiele folgen; es gibt ihrer überreichlich. Sie zeigten aber auch nur, was aus diesen drei Versen schon deutlich wird: Klopstock hatte Recht mit seiner Aussage, und wer selbst Hexameter schreibt, kann den eigenen Versen einige Schärfe verleihen, setzt er diese einsilbigen Wortfüße bewusst ein!

Im Hinterzimmer

Im Hinterzimmer des Verserzählers hat sich eine weitere Abhandlung metrischen Inhalts eingefunden:

Über die Regeln des deutschen Jamben, geschrieben von August Wilhelm Schlegel.

Das liest sich nicht unbedingt leicht – es ist schon älter, die benutzten Fachwörter sind nicht immer geläufig, und es geht sehr in die Einzelheiten. Trotzdem wird jeder, der sich für metrische Fragen erwärmen kann, so dies oder das finden, worüber nachzudenken sich lohnt … Ich setzte hier nur einen kleinen Ausschnitt über den „Spondeus“ hin, einen antiken Versfuß aus zwei langen Silben, über den viel gestritten worden ist: Gibt es ihn überhaupt im Deutschen? Wenn ja, in welcher Form?! Schlegel schreibt dazu unter anderem:

Die gleich gewogenen Spondeen entstehen bei uns meisten nur aus Zusammenstellungen zweier einsilbiger Hauptworte; zum Beispiel der Strom braustv . Die Längen müssen so lang als möglich sein, wegen der gegenseitigen Wirkung der Silben aufeinander. Jede Länge misst sich gleichsam an der, die bei ihr steht; und wenn sie der anderen nur die geringste Schwäche anmerkt, wird sie gewiss ihren Vorrang geltend machen. Die Längen müssen einander also durchaus nichts anhaben können. Darum ist dieser Spondeus ein so sehr starker Fuß: zwischen seinen Bestandteilen ist immer eine Art von Kampf.