Ein kurzes Gedicht, von Richard Dehmel, „Stimme des Abends“:
Die Flur will ruhn.
In Halmen, Zweigen
ein leises Neigen.
Dir ist, als hörst du
die Nebel steigen.
Du horchst – und nun:
dir wird, als störst du
mit deinen Schuhn
ihr Schweigen.
Eigenartig … Ich weiß nicht, ob das rein inhaltlich ein wirklich erwähnenswertes Gedicht ist; aber formal lohnt ein Blick schon! Der Eindruck von Geschlossenheit entsteht sicher durch die immer wieder aufgegriffenen Reime (wenn auch in ungeordneter Folge); aber auch durch die regelmäßigen Zweiheber der Art
x X x X (x)
Am Schluss folgt dann ein Einheber, also ein verkürzter Vers; was immer ein wirksames Mittel ist, einen Text nachdrücklich zu schließen!
Ein lohnender Vergleich ist Dehmels „Kein Bleiben“:
Immer dichter
flüchtet der Schnee.
Ich steh und seh
die Flocken treiben,
um Straßenlichter,
stumme Gesichter,
immer dichter.
Nur nicht bleiben:
weiter, weiter,
einsamer Schreiter!
Wieder eine ungeordnete, madrigalartige Reimordnung; hier ist aber auch der Zweiheber viel weniger regelmäßig! Mal stehen am Versanfang unbetonte Silben, mal fehlen sie; die mittlere Senkungsstelle ist mal mit einer, mal mit zwei unbetonten Silben besetzt; und auch der Versschluss ist mal betont, mal unbetont.
(x) X x (x) X (x)
Trotzdem macht der Text einen einheitlichen Eindruck? Das rührt sicherlich von der starken Wirkung der zwei Hebungen her. Noch unruhiger, und ohne Reim – ein Abschnitt aus Felx Dahns „Tannhäuser“:
Barst ihm der Kiel, –
Aus den schäumenden Wogen
Taucht, auf dem weißgrau
Mähnigen Seeross
Reitend, die Meerfrau,
Schwingt auf den Bug ihn
Und flicht in die Locken
Ihm rote Korallen und
Leuchtenden Bernstein
Als ihrer Behausungen
Gastgeschenk.
Wollte man ein Silbenbild geben, es müsste so aussehen:
(x) (x) X x (x) X (x) (x)
Alles dabei vom Dreisilber „Gastgeschenk“, „X x X“, bis hin zu den Siebensilbern „Aus den schäumenden Wogen“ (mit doppelt besetzter Senkung vorn, „x x X x x X x“) und „Als ihrer Behausungen“ (mit doppelt besetzter Senkung hinten, „x X x x X x x“)! Aber die beiden Hebungen genügen, die Verse als Einheit erfahrbar zu machen …
Auf diese Art, ungereimt und mit ständig wechselnden Füllungen der Senkungsstellen, wird der Zweiheber auch heute noch gebraucht; Beispiele folgen.