Wehe! Das Mahl des Mahls des Mahls des Ofenbewohners
Steigt zum Verzehrer der Nacht auf als gewesenes Mahl.
Archiv für den Monat April 2017
Bild & Wort (230)
Neu im Hinterzimmer
Unter „Gesammeltes“ findet sich Neues zu den anapästischen Versen:
R. Benedix: Anapästische Verse
Das ist allerdings ein recht harsche Zurückweisung jedweden anapästischen Verses; genaugenommen bestreitet Benedix sogar, dass es so etwas wie Anapäste im Deutschen überhaupt gibt!
Der Anapäst kommt im Deutschen als Wortfuß niemals vor, wie schon oben nachgewiesen. Demnach ist er auch kein deutscher Versfuß. Er kann das auch aus dem Grunde nicht sein, da er die Arsis auf der dritten Silbe hat.
Holla. Aber zu solchen Einsichten kommt Benedix in seinem Buch „Das Wesen des deutschen Rhythmus“ häufiger. Und warum auch nicht? Ein ernsthaftes Bemühen ist ihm nicht abzusprechen, und dadurch sind seine Ergebnisse auch da werthaltig, wo sie nicht unbedingt richtig sind.
Erzählverse: Der Blankvers (99)
Detlev von Liliencron ist im Goetheschen Sinne ein Dichter der sinnlichen und imaginären Eindrücke, ich glaube, er weiß gar nicht, was Theorie und Abstraktion sind. Jedenfalls steht er mit diesen schemenhaften Wesen als Künstler auf gespanntestem Kriegsfuß. Und so hat alles Hand und Fuß, Umriss, Farbe und Fülle bei ihm – und mit blassen Wortphantomen wird nicht genebelt und gequirlt.
So Karl Henckell, und schaut man sich den folgenden Beginn eines Liliencronschen Blankvers- textes an, kann man nicht umhin, zuzustimmen:
Una ex hisce morieris
Es flammt der Horizont des heißen Tages.
Der Schmetterlinge Flügelschlag ist hörbar,
So still weht Baum und Blatt im Sonnenschein.
Auf fernem Steig klingt schwach des Gärtners Harke.
„In einer dieser Stunden wirst du sterben“
Steht auf der Sonnenuhr im großen Garten,
Auf deren Weiser sich ein alter Spatz
Den unscheinbaren Kragen emsig putzt,
Und schnell das schiefgebogne Köpfchen kraut.
Dann fliegt er weg, im Kirschenbaum zu landen.
Doch unterwegs schlägt ihn der böse Falk.
„In einer dieser Stunden wirst du sterben.“
Weiter geht es mit „Bewegung, Menschen.“ Aber ich denke, bis hierher wird schon klar, um was es Liliencron geht; und dass der Blankvers dafür ein geeigneter Vers ist – das auch.
Erzählverse: Der iambische Trimeter (25)
Der Trimeter ist, seinem Wesen nach, ein eher getragener und würdevoller Vers. Das heißt aber nicht, es ließe sich mit ihm kein Unsinn treiben! Robert Prutz etwa lässt in seiner dramatischen Satire „Die politische Wochenstube“ einen gewissen Kilian sagen:
Schon aber mir im Herzen etwas reget sich
Und brodelt und kocht, wie Butter in der Pfanne tut,
Und durch die Glieder, leise krappelnd, rieselt es,
Nun hier, nun dort: und meinen Magen wärmt es mir.
Und das, keine Frage, klingt nicht sehr ernsthaft. Schon zwei Verse später wird es allerdings noch unernsthafter, als Kilian den Gegenstand „Magen“ noch weiter ausführt:
Wohl alles entstammt des Magens finsterm Grund: doch nicht
Das Böse bloß: auch jedes Gute stammt daher
Und jede Tugend, jede schöne Leidenschaft;
Ja selbst die große Götter- und Menschenkönigin,
Die Liebe selbst ist unsers Magens Tochter nur!
Darum auf Griechisch Appetite heißt sie auch.
Aha. An vielen Stellen teilt Prutz Stück‘ aber auch scharf und heftig aus gegen alles, was in Staat und Literatur schief lief nach Meinung des Verfassers; und das brachte diesem promt eine Klage wegen Mäjestätsbeleidigung ein. Viele der damaligen Ereignisse sind heute nicht nur nicht mehr wichtig, sondern sogar gar nicht mehr verständlich; aber eine solche Klagen, die soll es heute ja auch noch zu bestaunen geben …
Schaut man auf den Versbau, fallen die vergleichsweise zahlreichen doppelt besetzten Senkungen auf!
Erzählformen: Das Distichon (84)
Isola Madre
Hier, wo zarte Natur in überschwänglicher Schöne
Himmel zum göttlichen Bild, Pflanzen und Wasser vereint.
Wilhelm Waiblinger beginnt so ein längeres Gedicht. Bemerkenswert ist, wie sich der Satzbau auflöst, die Wörter im Pentameter eher der Führung des Verses als der des Satzes folgen.
Die metrische Form:
Hier, wo / zarte Na- / tur || in / über- / schwänglicher / Schöne
Himmel zum / göttlichen / Bild, || Pflanzen und / Wasser ver- / eint.
— ◡ / — ◡ ◡ / — || ◡ / — ◡ / — ◡ ◡ / — ◡
— ◡ ◡ / — ◡ ◡ / — || — ◡ ◡ / — ◡ ◡ / —
Der Hexameter zeigt alle drei gefahrlosen Möglichkeiten einer zweisilbigen Einheit: Am Versbeginn, unter Einbeziehung des Einschnitts, als Bestandteil zusammengesetzter Wörter.
Die Wogenpferde
Wieder ein Gedicht zum „Rheinfall von Schaffhausen“ – er fand schon Erwähnung in Der Hexameter (53), Das Sonett (13), Ganz frei und Das Distichon (73) (und nicht zu vergessen Das Distichon (41) zum Zackenfall). Diesmal besingt ihn Christian Wagner:
Welch Donnersausen
Und Wogenbrausen,
Sich überstürzen,
Mit Schaum sich schürzen!
Sind’s Fohlen mit ihren Müttern,
Die, bange vor Sturmgewittern,
Bei rollenden Donnerstimmen
Den Strom durchschwimmen?
Die Mähnen, die weißen Mähnen
So sturmwild flattern;
Dort übereinander sich lehnen
Die Müdern, die Altersmattern.
Die Hengste mit starken Hufen
Sich breite Stufen
Ins Wasser schlagen
Und weiter jagen.
Noch kündet donnerd‘ Gewieher
Viel tausend der gleichen Flieher,
Und tausend der grauen Stuten
Tief unten stromabwärts fluten.
Und er braucht dafür, wie könnte es anders sein! das „Donnern“. Sogar dreimal, was sicher ein wenig übertrieben ist und ein wenig geistlos wirkt?! Dafür ist aber die Ausgestaltung des alten und gutbekannten „Wasserpferde-Bilds“ gar nicht so schlecht gemacht, und die Reime sind auch vergleichsweise frisch; insgesamt also durchaus lesbar!
Hier noch, als Erinnerung und zum Vergleich, Eduard Mörikes distichische Wogenrösser:
Rosse der Götter, im Schwung, eins über dem Rücken des andern,
Stürmen herunter und streun silberne Mähnen umher;
Herrliche Leiber, unzählbare, folgen sich, nimmer dieselben,
Ewig dieselbigen – wer wartet das Ende wohl aus?
Da liegt der Nachdruck, wie bei dieser Form zu erwarten, viel stärker auf der Wortbewegung als auf dem Klang, und Mörike macht das wirklich sehr beeindruckend!
Erzählformen: Das Distichon (83)
Ein Autor an einen anderen
Lieber, ich weiß (nicht von dir; denn schweigend erträgst du dein Schicksal),
Dass es schlecht um den Ruhm deiner Erzeugnisse steht.
Dieses Distichon von Hermann Kurz ist nur das erste eines längeren Textes, der auch nur ein Text unter mehreren ist, die Kurz unter der Überschrift „Autorenklagen“ versammelt hat. Nun ja: auch derlei will geäußert sein und gehört werden!
Die metrische Form:
Lieber, ich / weiß (nicht von / dir; || denn / schweigend er- / trägst du dein / Schicksal),
Dass es / schlecht um den / Ruhm || deiner Er- / zeugnisse / steht.
— ◡ ◡ / — ◡ ◡ / — || ◡ / — ◡ ◡ / — ◡ ◡ / — —
— ◡ / — ◡ ◡ / — || — ◡ ◡ / — ◡ ◡ / —
Die Klammer ist etwas, das man in Distichen nicht oft sieht; und sie macht aus dem richtigen Vortrag des Hexameters eine spannende Aufgabe!
Bild & Wort (229)
Erzählverse: Der iambische Vierheber (11)
Ich stecke im Augenblick in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts fest, also in den Zeiten vor Klopstock, in denen ein Gedicht grundsätzlich gereimt war; und im Fall, dass es das ausnahmsweise doch nicht war, dieses im Titel angemerkt wurde wie zum Beispiel bei Karl Friedrich Drollinger. „Unschuldige Frühlingslust, in reimenlosen Versen“ heißt das Gedicht, dessen zweite Hälfte ich vorstellen möchte; in der ersten Hälfte sammelt die „kleine Phyllis“ schon Blumen, als:
Doch, wenn ihr ein gewürzter Duft,
Den ein verborgner Veilchenbusch
Bis in die Ferne von sich haucht,
Geruch und Herze plötzlich rührt,
Dann fühlt sie einen neuen Trieb,
Dann wallt ihr Blut, dann eilt ihr Fuß.
Sie sucht, sie findt, sie jauchzt vor Lust.
Schau, wie sie lebt! Schau, wie sie lacht!
Schau, wie sie sich geschäftig bückt
Und pflückt und unersättlich pflückt,
Ihr Kleidchen füllt, das Haar bekränzt,
Und hüpft und singt; und dann zuletzt,
Beladen mit der süßen Last,
Nach ihrer Hütte wiederkehrt!
Da schüttet sie mit tausend Lust
Den Raub, den wunderschönen Raub,
Der himmelblauen Blüten Schatz
Der werten Mutter in den Schoß.
„Unschuldig“ fürwahr; im höchsten Grade. Und auch „reimenlos“ – die eine Ausnahme, das „bückt / pflückt“, kann man Drollinger durchgehen lassen …