Den alten Meister freut es,
Gewinnt er; spielt er schlecht,
Verliert er und bereut es …
Archiv für den Monat Dezember 2017
Der Dichter
Der Briefwechsel zwischen Friedrich Schiller und Christian Gottfried Körner ist sehr lesenswert – einmal, weil hier zwei wirkliche Freunde miteinander reden; vor allem aber, weil sie zumeist über Dichtung und Kunst reden. Auf Augenhöhe, denn auch wenn Körner nicht viel veröffentlicht hat, war er dennoch ein scharfäugiger, meinungssicherer Kritiker seiner literarischen Zeitgenossen, und sowohl Schiller als auch Goethe haben viel auf seine Meinung gegeben. Im Juli 1804 schrieb Körner zum Beispiel an Schiller:
Der echte Dichter gibt sich selbst sein Gesetz, aber in der Gesetzlosigkeit sucht er kein Verdienst. Seinen Stoff behandelt er mit Leichtigkeit, nicht mit Leichtsinn; spielend, aber nicht tändelnd. Die Gestalt, die seiner Phantasie erscheint, ergreift er mit Liebe, sucht sie festzuhalten und ihr in der ästhetischen Welt eine Wirklichkeit zu geben. Dies unternimmt er in dem Glauben, dass es in seinem oder einem künftigen Zeitalter Seelen geben wird, die mit ihm gleiche Empfänglichkeit haben.
So selbstsicher klingt er immer, auch da, wo er Unrecht hat (was gelegentlich vorkommt); aber da er immer auch klar und verständlich ist und etwas zu sagen hat, genau wie Schiller: hört man den beiden gern zu …
Erzählverse: Der trochäische Achtheber (2)
Conrad Ferdinand Meyer verwendet in „Mit zwei Worten“ den Achtheber auf eine ungewöhnliche Art: Er fasst vier davon zu einer Strophe zusammen und reimt sie einheitlich!
Am Gestade Palästinas, auf und nieder, Tag um Tag,
„London?“ frug die Sarazenin, wo ein Schiff vor Anker lag.
„London?“ bat sie lang vergebens, nimmer müde, nimmer zag,
Bis zuletzt an Bord sie brachte eines Bootes Ruderschlag.
Sie betrat das Deck des Seglers und ihr wurde nicht gewehrt.
Meer und Himmel. »London?« frug sie, von der Heimat abgekehrt,
Suchte, blickte, durch des Schiffers ausgestreckte Hand belehrt,
Nach den Küsten, wo die Sonne sich in Abendglut verzehrt …
„Gilbert?“ fragt die Sarazenin im Gedräng‘ der großen Stadt,
Und die Menge lacht und spottet, bis sie dann Erbarmen hat.
„Tausend Gilberts gibts in London!“ Doch sie sucht und wird nicht matt.
„Labe dich mit Trank und Speise!“ Doch sie wird von Tränen satt.
„Gilbert!“ „Nichts als Gilbert? Weißt du keine andern Worte? Nein?“
„Gilbert!“ … „Hört, das wird der weiland Pilger Gilbert Becket sein –
Den gebräunt in Sklavenketten glüher Wüste Sonnenschein –
Dem die Bande löste heimlich eines Emirs Töchterlein!“
„Pilgrim Gilbert Becket!“ dröhnt es, braust es längs der Themse Strand.
Sieh, da kommt er ihr entgegen, von des Volkes Mund genannt,
Über seine Schwelle führt er, die das Ziel der Reise fand.
Liebe wandert mit zwei Worten gläubig über Meer und Land.
Manchmal gibt es einen leichten Verdacht, dass der Reim den Inhalt bestimmt. Aber das bleibt eine Randbemerkung, denn die Strophen wirken durchaus überzeugend gestaltet, und der weite Raum der Achtheber lebendig gefüllt!
Ohne Titel
Trommeln, geschlagene, Eier, und auf! (ist Befehl und ist Richtung.)
Bild & Wort (258)
Erzählformen: Das Distichon (106)
Die deutschen Hexameter und Pentameter müssen sich immer auf die eine oder andere Weise mit ihren antiken Vorgängern vergleichen lassen: Was ist an Nachahmung möglich, was sinnvoll?! Friedrich Rückert hat in seinem Liedertagebuch des Jahres 1852 ein Distichenpaar, dessen erster Pentameter sich bezüglich der Wortstellung große Freiheiten nimmt – eben so, wie es die Vorgänger auch taten:
Neulich wollt‘ ich die zwei Iphigenien untereinander
Goethes vergleichen und dich, euripideisches Stück.
Was war da zu vergleichen? So ungleich waret ihr beide,
Du von hunderten eins, jenes ein einziges Werk.
Das gegebene Urteil weiß ich nicht einzuschätzen; aber die Stellung des „Goethes“ ist doch sehr … unbekümmert?!
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (74)
Georg Heym ordnet 15 ungereimte trochäische Vierheber in drei Strophen zu je fünf Versen an und erzielt damit einige Wirkung:
Lichter gehen jetzt die Tage
In der sanften Abendröte
Und die Hecken sind gelichtet,
Drin der Städte Türme stecken
Und die buntbedachten Häuser.
Und der Mond ist eingeschlafen
Mit dem großen weißen Kopfe
Hinter einer großen Wolke.
Und die Straßen gehen bleicher
Durch die Häuser und die Gärten.
Die Gehängten aber schwanken
Freundlich oben auf den Bergen
In der schwarzen Silhouette,
Drum die Henker liegen schlafend,
Unterm Arm die feuchten Beile.
Da breitet sich anfangs eine für Heym leicht ungewohnte idyllische Stimmung aus, die sich in der zweiten Strophe noch hält, ehe sie in der dritten hässlich laut in Scherben fällt …
Wortvergnügt (9)
Heute bin ich über das Wort „Heringsseele“ gestolpert, und wenn man sich dazu im Netz ein wenig umschaut, kommt wie üblich Erstaunliches zutage:
Die sogenannte Heringsseele, welches die Blase, wann deren neun an der Zahl genommen, gedörret, zu Pulver gestoßen und eingenommen werden, befördern sie unfehlbar den verstandenen Urin.
So zu lesen in Christian Hellwigs 1719 erschienenen „Exotica curiosa“. Spannender ist aber die Verwendung des Wortes in der Bedeutung „dünne, schwächliche Person“, „ein knickriger, knauseriger Mensch“ (laut Wörterbuchnetz), auch „Schwachkopf“.
Krips. Ich will noch reicher werden und will so lange leben, bis Sie alles durchgebracht haben, und dann will ich mich zu Tode lachen!
Landrat. Lassen Sie die Heringsseele laufen.
Das steht in „Verlegenheit und List“ von August von Kotzebue; „Krips“ ist dabei ein Wucherer.
Abseitiger ist ein Blick in Friedrich Ferdinand Hempels „Allgemeines Deutsches Reimlexikon“ von 1826, das zum einen neben der Heringsseele eine größere Menge an anderen Seelen führt, darunter die „Biederseele“, „Pöbelseele“, „Heldenseele“, Veilchenseele“, darüber hinaus aber auch vorschlägt, diese zum Beispiel auf „Sarkoepiplocele“ zu reimen.
Oha. Keine Aufgabe für Heringsseelen, scheint mir …
Ohne Titel
Der du die Dinge benotest: was nun (da die Dinge doch fort sind)?
Erzählverse: Der Blankvers (123)
Der Tod wird uns an seine Hände nehmen,
Der Führer jener Seelen, welche irrten,
Und sprechen: „Dieses ist der rechte Weg!“
Und weiter sprechen: „Dieses ist das Land,
Nach welchem ihr Verlangen habt und Tränen.“
Dann aber werden wir die Blicke senken
Und voller Trauer fragen: „Dieses nur?“
Sieben Blankverse aus einem längeren Gedicht Walter Calés, die aber wunderbar für sich alleine stehen können; und dann mit den letzten beiden Versen, mit der Schlussfrage eine ganz eigenartige, dringliche Wirkung haben …