Die Bewegungsschule (10)

Die letzte Gestaltungsmöglichkeit von Bedeutung ist die Änderung der Verslänge, was in unserem Fall meint: Der Vers wird verkürzt. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten:

– Immer mal wieder wird ein Halbvers eingestreut zwischen die Vollverse; also ein Kurzvers der Form „ta ta TAM ta ta TAM„. Wie bei allen Möglichkeiten zur Auflockerung gilt: Bitte mit Augenmaß verwenden!

– Inhaltlich passend wir eine Reihe von ungefähr fünf bis acht Vollversen mit einem verkürzten Vers geschlossen. Dieser „Schlussvers“ sieht so aus:

ta ta TAM ta ta TAM ta ta TAM ta

Er hat also keine feste Zäsur! Außerdem dürfen nicht alle „ta ta“ durch ein „TAM“ ersetzt werden, sondern nur das erste am Versanfang.

Die beiden Möglichkeiten lassen sich auch zusammen nutzen – ein gar nicht so seltenes Abschnittsende besteht aus drei Versen, einem Halbvers, einem Vollvers, einem Schlussvers:

ta ta TAM ta ta TAM
ta ta TAM ta ta TAM || ta ta TAM ta ta TAM
ta ta TAM ta ta TAM ta ta TAM ta

– Sehr geeignet, um zu Beispiel das Ende eines Kapitels oder des ganzen Textes herauszuheben! Ich nehme als Beispiel einen acht Verse langen Abschnitt aus meinem Übungsheft:

 

„Das ist lecker!“ – vergnügt füllt Schemel den Rest
Des Rhabarberkompotts in die Schüssel, und isst
Mit Behagen; dann legt er den Löffel beiseit,
Rülpst, patscht sich den Bauch und vergisst, was da kommt,
Unvermeidlich: der Krieg, und der Leichengeruch
Im verwüsteten Land,
Und die Gräber, darin der Verhungerten Heer:
Sind den einen Moment lang vergessen.

 

Da sind die letzten drei Verse so gebaut. „Mitten im Text“ reicht aber auch ein einzelner Schlussvers, um einen Abschnitt zu schließen!

„Vergessen“, „ta TAM ta“ – auch der Schlussvers bietet also die Möglichkeit, das „ta TAM ta“ unterzubringen, so wie alle anderen Wörter und Sinneinheiten auch, die auf „- TAM ta“ enden.

Einen Blick wert vielleicht auch noch dieser Vers:

Mit Beha– / gen; dann legt || er den Löf– / fel beiseit,

So sieht er jedenfalls im „strengen“ Metrum aus; betrachtet man die Sinneinheiten, sieht man, dass die Zäsur wahrscheinlich um eine Silbe nach hinten verschoben ist, wie das in (9) vorgestellt wurde:

Mit Behagen; / dann legt er || den Löffel / beiseit,

Fällt, wie hier, die eigentliche, die „Grund“-Zäsur mit einem Wortschluss zusammen, hat man im Vortrag mehr Möglichkeiten!? Liest man die Grund-Zäsur, rückt das „er“ in die zweite Vershälfte, es entsteht Spannung; liest man nach Sinneinheiten, ist der Vers entspannter, auch wegen der beiden einander folgenden „ta TAM ta“. Da muss jeder schauen, wie er das machen will; ich für meinen Teil bemühe mich, die Grundzäsur zumindest durch einen Wortschluss kenntlich zu machen, „im Vers zu lassen“.

Eine Möglichkeit, den Schlussvers zu üben, ist sicherlich das Verfassen von Distichen, Zweiversern bestehend aus Vollvers und Schlussvers:

 

Wie der kürzere Vers nach dem längeren wirkt,
Lernt rasch sich; man muss sie nur schreiben …

 

Ansonsten kann, wer mag, die acht Übungsverse oben in metrische und vor allem Sinneinheiten zerlegen; unter die Motorhaube schauen, sozusagen, und prüfen, ob alles rechtens ist.

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