Erzählverse: Der Ioniker (4)

Versbetrachtung, Teil zwei.

Ich glaube, eines der Hauptprobleme des Ionikers ist, dass er Worte der Gestalt „— v“ – „Erde“, „Wasser“, „Feuer“ – nur sehr schwer unterbringen kann, erst recht, wenn die metrischen Einheiten, wie von Klopstock ja verlangt, „oft“ auch gleichzeitig Sinneinheiten sein sollen. In „v v — —“ passen solche Worte einfach nicht rein, und es bleibt eigentlich nur „Luft“ …

Von daher ist es sinnvoll, zu schauen, wie Klopstock dem entgegengewirkt hat. Einmal sicher durch das Ersetzen von „v v — —“ durch “ v v — v“, andererseits aber auch durch das Aufgeben der Übereinstimmung von metrischer Einheit und Sinneinheit. Um letzteres soll es nun gehen!

Von den 27 Versen zeigen knapp über die Hälfte in den ersten drei Einheiten (die Kadenzen sind ohnehin bis auf eine Ausnahme alle „sauber“) Übereinstimmung von metrischer Einheit und Sinneinheit, es sind dies die Verse 03, 05, 06, 07, 09, 10, 14, 15, 17, 18, 21, 22, 23, 24, 26.

Bei den anderen Versen gibt es verschiedene Arten der Trennung von Metrum und Sinn. Da sind einmal die Fälle, in denen die Sinneinheit nicht eine, sondern zwei metrische Einheiten umfasst, mit der Grenze innerhalb eines Wortes. Es sind dies einmal  Zusammenfassungen der Art „v v — / v v —“

des Unend– / lichen Lob (02), sein beseel– / teres Bild (08), in der End– / lichen Heer (13)

Diese Fälle stören die dem Ioniker eigene Bewegung kaum, vielleicht sind sie ein wenig schneller als zwei einzelne Sinneinheiten.

Ähnlich liegt der Fall bei den Zusammenfassungen der Art „v v — / v v — —“:

zu dem e– / wigen Heil hin! (19), Der unsterb– / liche Mensch weg (20)

Auch hier ist die Bewegungslinie des Grundverses weitestgehend erhalten. Anders liegt der Fall, wenn sich in zwei metrische Grundeinheiten zwei mit ihnen nicht deckungsgleiche Sinneinheiten einlagern! Eine Kombination von zwei Sinneinheiten, die häufiger vorkommt, hat die rhythmische Gestalt “ v — / — v v —“:

Erwach, / Har / fengetön (01), Erhebt, / sing/ ich dem Herrn (11), Des Seins / tie/ fen Entwurf (12)

( / = Trennung der metrischen Einheiten, / = Trennung der Sinneinheiten) Das deutlich vernehmbare „— v v —“ bringt dabei einen neuen Klang in den Vers, denn diese Einheit ist nicht, wie die metrischen Einheiten des Ionikers, „nach einer Seite offen“, sondern eine abgeschlossene Einheit, die dem Vers mehr einen Ruhepunkt gibt, ein Verharren, als Vorwärts-Bewegung. Und natürlich können hier auch einige „— v“-Wörter untergebracht werden! Für mein Ohr gehört auch dieser Fall noch dazu:

Der Angst / Stim/ me sich mischt (25)

Hierbei ist aber ein Stück weit auch die Einheit „v — — v“ zu vernehmen in „Der [b]Angst Stim[/b]me“, was ja vom Sinn her erst einmal zusammengehört. Ganz deutlich ist diese leicht unschöne Einheit (Klopstock nennt sie „abstechend“)  in folgendem Fall zu vernehmen:

Ohn‘ Aufhö/ ren / am Thron sein (16)

Wieder bekommt der Vers einen anderen Klang, diesmal einen etwas unruhigen.

In allen bisher gezeigten Fällen waren zwei metrische Einheiten betroffen, während die dritte Einheit immer die Übereinstimmung von metrischer Einheit und Sinneinheit aufwies. In den beiden verbleibenden Versen sind dagegen alle drei vor der Kadanz liegenden metrischen Einheiten keine Sinneinheiten. Es sind dies:

Und Erzen/ gel / entflamm/ endes Lob (04), Und sanft Lis/ peln / den Har/ fen entlockt (27)

Im letzten Fall gelangen dadurch sogar zwei „— v“-Wörter in den Vers, aber dafür werden auch so versfremde Einheiten wie “ v — — v“ und, zum einzigen Mal im Versinnern, „v — v“ hörbar. Aber das sind recht eindeutig Ausnahmen, so dass derlei wohl eher unter „Abwechlung erfreut“ fällt als unter „Viele Köche verderben den Brei“?!

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