Das Königreich von Sede (11)

Der Torfrosch
Aus Prinz Klappstuhls Jugendtagen

Wohin sich Schemel wandte,
Als er ganz früh am Morgen
Durchs Schlosstor trat und fortging,
Die Laute an der Seite,
Im Rucksack ein Stück Käse,
In Noten eingeschlagen,
Und frisches Brot, und Butter,
Und alten Wein, drei Flaschen?

Wer wüsste es zu sagen …

Prinz Klappstuhl wohl, der heimlich
Des Königs Narren nachging,
Bemüht, nicht mit der Schaufel,
Der Hacke nicht zu klappern,
Die er geschultert hatte;

Der König auch, der später,
Dem Sohn, dem Narren fluchend,
Den Aufbruch zweier Wachen
Vom Fenster aus verfolgte –
Vom Schloss begab das Paar sich
Zur alten Königsstraße
Und eilte sie hinunter,
Auf Weisung ihres Königs
Zu finden Narr und Jüngling
Und sicher zu geleiten
Zur Burg von König Boden.

„Komm, Schemel! Schnell! Ich habe was gefunden!“
Aufseufzend legt des Königs alter Narr
Die Laute fort, auf der er viele Stunden
Geübt hat, bis sich Bodens Ehre klar
Und rein aus den elf Saiten hob, und schlendert
Zum Tor; und findet alles dort verändert.

Wo sich im Wind sonst Gras und Blumen wiegen,
Starrt Loch an Loch, türmt nackte Erde sich
Und sorgsam ausgemachte Sträucher liegen
Verstreut herum; und Frösche, wunderlich
Aus Stein gehau’ne Frösche, klein wie Hände,
Wie Köpfe groß: Bevölkern das Gelände.

„Bei Bodens Bart!“, flucht Schemel, „soviel Wächter
Hast du entdeckt, in Grün, in Braun, groß, klein?
Läufts gut, entdecken Gräber drei, läufts schlechter,
Im ganzen Jahr nicht einen Wächterstein;
Du holtst mir mehr, und hast nur einen Tag gegraben!
Ans Licht, als alle je gefunden haben –

Mein Junge, du erstaunst …“ Er spricht nicht weiter,
Denn nun hat er im Wirrwarr jenes Loch
Bemerkt, fünf Meter lang, ein wenig breiter
Und tief, sehr tief, drin Klappstuhl steht und doch
Von Kopf bis Fuß zu sehn ist, denn: er steht auf
Des Torfroschs Haupt! Der Narr erbleicht und geht auf

Die Grube zu, und schaut hinein – ein Teil nur
Des Riesenfrosches sieht bereits das Licht,
Noch grün an manchen Stellen und ganz heil, nur
Zerfurcht und voller Risse. Doch nun bricht
Ein Stück der Lippe weg zu Klappstuhls Füßen,
Er wankt; und fällt; und muss den Leichtsinn büßen,

Der seinen Fund ihn hat erklettern lassen.
Der Narr bemerkt das Unglück, streckt die Hand
Ins Loch hinaus, den Prinz im Sturz zu fassen –
Es glückt; glückt nicht, ihn ziehts vom Grubenrand!
Sie schlagen auf: Verstand und Geist erlöschen
In Prinz und Narr, und wandern zu den Fröschen.

„Drei Vögel auf dem Schornstein!“
Der alte König Kanapee
Sitzt müßig mit dem Seher,
Mit Pulverfass im Garten,
Die Sonne zu genießen
Und Bodens Burg zu spielen;
Doch plötzlich schweift des Sehers
So scharfer Blick ins Nichts ab,
Mit schräggelegtem Haupte
Scheint er gespannt zu lauschen –
„Entschuldigt mich, mein König,
Es kommen eben Dinge,
Die schliefen, in Bewegung,
Und mir erscheint es nötig,
Vom Turm aus zuzusehen.“
Und Pulverfass erhebt sich,
sagt, um das Spiel zu enden,
„Zwei Frösche, tief im Brunnen!“
Mit seltsam ernster Stimme,
Verbeugt sich vor dem König
Und geht zuerst, und läuft dann
Vom Garten aus zum Nordturm.

Tief erschreckt durch des Torfroschs Schmerz,
Hingestreckt durch des Torfroschs Schmerz –
Narr, erwache! Zur Schwermut sei
Auferweckt durch des Torfroschs Schmerz …

Nur leise noch erklingt in Schemels Sinnen
Ein Quarren, Frosch- und doch auch Menschenwort;
Ein fernes Flüstern jetzt, jetzt ein Verrinnen
Ins stille Nichts, ins Schweigen – es ist fort,
Und Schemel stöhnt und regt die sichen Glieder,
Steht auf – schwankt – steht! Das Leben hat ihn wieder.

Der Prinz ist gleichfalls wach, auch er zerschunden,
Zerbeult, zerschürft, mit schwarzem Blut bedeckt;
Doch wie der Narr ganz frei von schweren Wunden,
Und wie der Narr im Innersten verschreckt:
„Was ist nach unsrem Sturz mit uns geschehen?
Ein Quarren hörte ich und konnt’s verstehen,

Es sagte, sagte … Weh! Ich hab’s vergessen!“
„Was hier geschieht“, sagt Schemel, dessen Blick
Den Torfrosch mustert, „kann ich nicht ermessen;
Ich weiß nur eins, wir wandern bald zurück
Zum Schloss – ah, Junge, hier! Die Beine neigen
Sich weit genug, um dran emporzusteigen!“

Den Frosch hinauf, zum Grubenrand – sie springen
Und landen weich, und liegen keuchend da,
Beruhigen sich; der Schmerz lässt nach; sie zwingen
Sich aufzustehn, und Schemel sagt: „Das war
Der leichte Teil; den Torfrosch zu verhüllen,
Gilt’s nun, das Loch mit Erde aufzufüllen,

Bevor die Wachen kommen und ihn sehen –
Die Schaufeln her!“ „Das Loch …“ Der Prinz erbleicht.
„Mit einer Schaufel? Krank?! Wie soll das gehen!“
„Es muss. Wenn jemand dieses Loch erreicht,
Hineinschaut, und bemerkt … nein! Nein! Wir müssen
Verhindern, dass noch andre davon wissen!“

Prinz Klappstuhl stöhnt, und greift zur Schaufel; sticht sie
Ins Erdreich, hebt es, wirft es müd‘ hinab,
Er sticht – und diesmal folgt die Erde nicht, sie
Bewegt sich, krümelt von der Schaufel ab,
Bewegt sich selbst und hüpft, wie Frösche hüpfen,
Zum Grubenrand, von dort ins Loch zu schlüpfen.

Nun regt sich hier, nun da ein wenig Erde,
Verklumpt, bewegt sich, hüpft zur Grube hin –
Nun überall, die sprunggewalt’ge Herde
Gehorcht, wer könnte sagen, welchem Sinn
Und stürzt ins Loch, den Torfrosch zu verstecken;
Und kurz darauf ist nichts mehr zu entdecken.

Um nichts zu früh! Die Wachen,
Die aufgebrochen waren,
Im alten Wald zu jagen,
Sind nun zurück und gaffen
Den Prinzen an, den Narren,
Die ausgemachten Sträucher,
Die ausgegrab’nen Frösche,
Die schwarze, nackte Erde
Und öffnen schon die Münder,
Um Fragen über Fragen
An Narr und Prinz zu richten –
Vergebens! Schemel heißt sie,
Die Sträucher neu zu pflanzen,
Die Frösche aller Größen
Zu sammeln und im Wachhaus
Behutsam abzulegen;
Dann wählt er einen kleinen,
Ihn mit ins Schloss zu nehmen,
Und heimwärts geht die Reise!

Beim Licht von Mond und Sternen
Erreichen schließlich Klappstuhl
Und Schemel wund das Schlosstor,
Durchschreiten es, begeben
Sich still zu ihren Räumen,
Entkleiden sich und waschen
Den Schmutz von ihren Gliedern,
Verbinden ihre Wunden
Und kriechen in die Betten,
Ein wenig Schlaf zu finden:

Zugedeckt von des Torfroschs Schmerz.

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